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Der Schlangenmensch

Der Schlangenmensch

Titel: Der Schlangenmensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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hatte
Gaby sich vorbereitet. Sie besaß Bücher über Kunstgeschichte. Darin waren auch
einige Informationen enthalten über die Kunsterzeugnisse des alten Ägypten.
    Sie brachte ihre Fragen an.
    Jeske antwortete weitschweifig
und umständlich.
    Gabys Kugelschreiber huschte
über den Notizblock. Was sie aufschrieb, war wie Kraut und Rüben, denn Jeskes
Gedanken purzelten wild durcheinander. Es schien schon die zweite Flasche
Champagner zu sein, die er eben entkorkt hatte. Als Interviewpartner war der
Kerl eine Katastrophe.
    Beide saßen auf einer weißen
Ledercouch. Zwei Personen hätten noch dazwischen gepaßt.
    Doch jedesmal wenn Gaby
aufblickte, war Jeske etwas näher gerutscht.
    „Wunderschön, was Sie da alles
haben“, sagte Gaby: „Statuetten, Grabbeigaben, Wandmalereien, Reliefs, Tonkrüge
— eine erlesene Sammlung. Was ist Ihr wertvollstes Stück?“
    „Das zeige ich dir!“ rief er.
„Moment!“
    Er sprang auf. So schnell es
seine teigige Figur gestattete, watschelte er hinaus.
    Als er zurückkam, trug er ein
nicht allzu großes Gebilde.
    Es schimmerte golden, war
länglich wie ein kleiner Sarg und umrißartig einer menschlichen Figur
nachgebildet. Das Kopfstück war als Maske dargestellt — mit der ausladenden
Kopfbedeckung der ägyptischen Könige.
    „Das“, flüsterte Jeske, „ist
ein Eingeweidesarg.“
    „Wie bitte?“ rief Gaby
entsetzt.
    „Ein Sarg für Eingeweide. Er
stammt aus einem Königsgrab. Zumindest aus dem Grab eines vornehmen, sehr
reichen Ägypters. Ist fast 3000 Jahre alt.“
    „Und darin wurden wirklich
Eingeweide — von einem Menschen...“
    Jeske nickte. „Du weißt doch:
Die Ägypter glaubten, daß ein Verstorbener in eine andere Welt hinüberwandere,
wo er weiterlebe — vorausgesetzt, sein Körper bleibe gut erhalten. Deshalb
wurden die toten Pharaonen als Mumie hergerichtet — was ein komplizierter
Vorgang war, der genau 70 Tage dauerte. Unter anderem entfernte man Leber,
Lunge, Magen und Därme aus dem Körper. Die Eingeweide wurden getrennt
beigesetzt. In vier solchen Särgen.“
    „Ist ja ekelhaft!“ rief Gaby.
Sie schauderte.
    Jeske grinste. „Willst du jetzt
nicht doch ein Glas Champagner?“
    „Nein danke! Ich trinke keinen
Alkohol.“
    Achselzuckend brachte er seine
Kostbarkeit hinaus.
    So komme ich nicht weiter,
dachte Gaby. Ich muß es anders anfangen. Bis jetzt habe ich nur festgestellt,
daß er ein ekliger Kerl ist.
    Jeske tänzelte herein. Er hatte
die Gelegenheit benutzt, sich abermals zu parfümieren. Jetzt roch er betäubend.
Gabys Näschen krauste sich.
    „Vor allem eins wollte ich noch
fragen, Herr Jeske: Wie ist es für einen Sammler überhaupt möglich, immer
wieder an so schöne und bedeutende Stücke zu kommen?“
    In der Mitte des Raumes blieb
er stehen. Anklagend hob er die Hände.
    „Immer wieder — sagst du? Aber
nein! Das ist ja das Verhängnis. Die Ohnmacht des Sammlers. Wer weiß denn, in
welcher Verzweiflung ich mich nächtelang um den Schlaf bringe! Mein Vermögen —
oder wenigstens einen Teil — würde ich hergeben, könnte ich die wirklich
bedeutenden, einmaligen Stücke erwerben! Aber ich kann nicht! Immer wieder —
sagst du? Es gibt kein ,immer wieder’. Der Markt ist leer. Was wertvoll ist,
befindet sich in Museen. In der Hand des Staates. Unerreichbar für den Sammler!
Unerreichbar für mich! Aber was geschieht in den Museen damit? Banausen, die
der altägyptischen Kunst interesselos gegenüberstehen, beglotzen die
Kostbarkeiten. Das ist Entweihung. Schändung! Ein Verbrechen! Unsereins
verzehrt sich in Sehnsucht danach — und der Staat glaubt, diese Einmaligkeit
dummen Menschen zeigen zu müssen.“
    Gleich dreht er durch, dachte
Gaby erschrocken. Entweder er fällt auf die Knie und betet zu Aton, Amun,
Osiris oder wem auch immer. Oder er beißt vor Wut in seinen vergoldeten Eingeweidesarg.
    Doch Jeske tat nichts
dergleichen.
    Mit einem Glitzern in seinen
Triefaugen setzte er sich dicht neben Gaby.
    „Es ist eine Schande.“ Er
schenkte sich Champagner ein. Seine Hand zitterte etwas. „Dieses Horten von
Kunst in blöden Museen für noch blödere Besucher. Man müßte, ja, man müßte alle
Museen abschaffen. Und die Schätze versteigern. Alles Ägyptische würde ich
kaufen! Alles! Aber da das nicht geht, habe ich andere Mittel und Wege...“
    Er stockte.
    Atemlos dachte Gaby: Jetzt verrät
er sich. Das war ja fast ein Geständnis.
    Betont harmlos fragte sie:
„Werden Sie schon bald etwas Neues bekommen, das Sie mir

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