Der Schlangenmensch
kann ein
Schimpfwort sein, wenn ich es in beleidigender oder feindseliger Absicht
gebrauche. Schon das Wort DUUUUUU!“ Er brüllte, als wollte er in der
Wallfahrtskirche gehört werden. „Schon das kann als Schimpfwort gelten. Setzt
euch!“
In dem Raum herrschte Unordnung
wie kurz vor oder kurz nach einem Umzug.
Die Jungs setzten sich auf eine
Eckbank am Fenster.
Karpf ging mit Stampfschritten
auf und ab und bohrte sich einen Finger ins linke Ohr. Dann wackelte er heftig,
als wäre der Finger jetzt festgewachsen.
„Schimpfen ist eine Reaktion
auf Ärger“, teilte er ungefragt mit. „Also etwas völlig Natürliches. Doch es
war zu keiner Zeit gefragt. Immer schon gab es Verbote gegen das Schimpfen. So
auch bei Pharao Ramses III. in Ägypten, also vor mehr als 3000 Jahren. Ebenso,
wie wir aus der Bibel wissen, im alten Jerusalem. Oder im alten Rom. Sagt dir der
Name Lex Salica was?“ wandte er sich an Karl.
„Das Salische Gesetz aus dem
Jahre 510“, kam es wie aus der Pistole geschossen, „verbot die beleidigende
Anwendung von Wörtern wie Lüstling, Bekackter oder Hase. Wer sich dennoch
hinreißen ließ, mußte mit Geldstrafe rechnen.“
„Gut, gut, Herr Kollege!“
knurrte Karpf. „Aber weißt du auch, daß zum Beispiel während des Zweiten
Weltkriegs in Italien das Schimpfen und Fluchen grundsätzlich verboten war - um
die Ehre des Landes nicht zu besudeln. In Amerika ist es streng verboten,
Schimpfworte über Rundfunk und Fernsehen zu verbreiten. Obschon einem dazu
bestimmt nichts anderes einfällt. Tja, und bei uns kann eine Beleidigung mit
einem Jahr Gefängnisstrafe geahndet werden.“
Karl machte sich Notizen,
obwohl er längst alles wußte.
Klößchen, der nichts von dem
wußte, sperrte die Ohren auf.
„Schimpfworte“, fuhr Karpf
fort, „wurden fast nur von Männern gebraucht. Es war deren Mittel, Wut und Zorn
loszuwerden. Frauen taten das nicht. Sie drückten ihre bitteren Gefühlsregungen
anders aus. Indem sie weinten. Ich spreche bewußt in der Vergangenheit. Denn
heute hat sich das geändert. Angeglichen! Auch Frauen fluchen wie Kesselflicker
— manchmal, jedenfalls. Dafür wird weniger geheult. Klar?“
„Völlig.“ Karl kritzelte.
„Und logisch“, sagte Klößchen.
„Trotzdem“, sagte Karpf, „gibt
es Völker, die weder fluchen noch schimpfen. Man hält es nicht für möglich.
Aber es ist Tatsache. Die nordamerikanischen Indianer, die Japaner, Polynesier
und Malayen kennen das nicht. Die...“
Er blieb stehen wie
angewurzelt.
Mit vorgestrecktem Kopf starrte
er durchs Fenster auf das Land hinaus, das ihm gehörte — soweit man sehen
konnte.
Die Jungs folgten seinem Blick.
In beträchtlicher Entfernung
vom Haus verlief ein Weg.
Auf dem radelte ein geistlicher
Herr. Er war dunkel gekleidet und — soviel Karl und Klößchen erkennen konnten —
glatzköpfig. Sicherlich handelte es sich um den Herrn Pfarrer der
Wallfahrtskirche.
Mit drei Sprüngen war Karpf am
Fenster.
Er riß es auf.
Karpf fegte eine kupferne Gießkanne
zu Boden. Aber das scherte ihn nicht.
Mit voller Lungenkraft brüllte
er: „Pope! Schwarzrock! Seelenfänger! Runter von meinem Gelände! Du hast hier
kein Wegerecht!“
Klößchen ließ staunend den Mund
offen.
Karl dachte: Na, prima! Jetzt
sind wir beim Thema!
Und der Pfarrer fuhr weiter,
als hätte er die Beschimpfung nicht gehört.
Doch er hatte. Zwanzig Meter
weiter wandte er sich in Karpfs Richtung. Der geistliche Herr hob eine Hand und
tippte sich mit eindeutiger Geste an die Stirn.
Auf begleitende Worte
verzichtete er. Auf dem Gebiet hätte er es vermutlich mit Karpf nicht aufnehmen
können.
„Leimsieder! Trickbetrüger!“
Karpf brüllte. Zornesadern schwollen auf seiner Stirn.
Dann verschwand der radelnde
Pfarrer im Wald.
Karpf schlug das Fenster zu.
„Habt ihr das gesehen?“ brüllte
er. „Er nimmt sich raus, was er will!“
„Unerhört!“ murmelte Klößchen.
„Offenbar besteht ein
gespanntes Verhältnis zwischen Ihnen und dem Herrn Pfarrer“, stellte Karl
scheinheilig fest. „Hat das einen Grund?“
„Und ob es den hat“, giftete
Karpf.
Karl fragte nicht. Der
,streitbare Otto’ würde sicherlich von selber reden.
„Seit 300 Jahren!“ Karpf hielt
den Jungs drei gespreizte Finger entgegen. „Solange schon beschlagnahmt diese
Wallfahrtskirche oben auf dem Hügel mein Eigentum.“
„Donnerwetter!“ sagte Karl.
„Ich hätte Sie auf höchstens 40 Jahre geschätzt. Dann wären Sie ja...“
„Spiel’
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