Der schlaue Pate
bisschen, na ja, zwanghaft, fühlte sich außerdem auf dieser Stelle unterfordert. Er wühlte weiter, bis er auch die Ukrainerin fand, dann in ungelösten Mordfällen, und entdeckte die drei ersten Opfer. Die Fotos haben Sie ja gesehen. Die Ähnlichkeit ist zugegebenermaßen manchmal nicht sehr groß, aber der Gesichtstyp ist immer der gleiche. Es sind im wesentlichen die Form des Unterkiefers und das hohe Kinn, die dem Gesicht in Frontalansicht fast etwas Viereckiges verleihen. Es gibt Untersuchungen, welche Frauengesichter Männer besonders attraktiv finden, und das ist einer der drei beliebtesten Gesichtstypen. Sie finden ihn schon bei den alten Ägyptern, die Göttin Selket mit dem Skorpion auf dem Kopf. Auch in der klassischen Antike, im Mittelalter und natürlich überall in der modernen Populärkultur. Haarfarbe oder selbst Rasse sind nicht so wichtig. Audrey Hepburn. Die erwähnte Michelle Pfeiffer. Oder«, sie wandte sich an Desirée, »für jüngere Leute: Cameron Diaz. Keira Knightley. Sehr viele asiatische Gesichter. Wissen Sie, wer dem Ideal ziemlich nahekommt? Diana Ross.«
»Eine Schwarze. Michael Jackson hat sich x-mal operieren lassen, um wie Diana Ross auszusehen«, warf Andreas ein.
»Also, Frau Dr. Bläsius«, sagte Prinz langsam, »das mag ja alles sehr interessant sein, aber Sie reden um den heißen Brei herum.«
»Tue ich das?« Sie schielte zu der Zigarettenschachtel, die Ollie auf dem Tisch hatte liegen lassen. Nippte stattdessen am Kaffee. »Ja, wahrscheinlich. Matthias …« Sie brach ab.
»Sie vermuten bei ihm eine antisoziale Persönlichkeitsstörung, nicht wahr, Frau Dr. Bläsius?«, fragte Professor Rind vorsichtig.
Das Nikotin gewann. Diesmal drückte sie die Zigarette nicht wieder aus. »Darin bin ich keine Expertin, Herr Professor. Solche Männer kommen selten zur Paartherapie. Aber Sie haben recht, er ist ein erfolgsbesessener Egomane. Soweit ich das mitbekommen habe, ein miserabler Chef. Er kann sich schlecht in andere hineinversetzen. Wir waren in den letzten Wochen sehr viel zu zweit im Auto unterwegs, und ständig nur: ich-ich-ich, wobei ich glaube, dass vieles von dem erfunden ist, was er so redet. Wenn ich von meinen Problemen erzähle, hört er gar nicht zu. Außer, er entscheidet sich bewusst dazu, meistens abends in Restaurants. Dann kann er außerordentlich charmant sein, was er immer schon gut konnte. Aber im Stillen glaubt er, Regeln sind da, damit andere sich daran halten, für ihn gelten sie nicht. Er streitet das natürlich ab, er sei schließlich Recht und Gesetz verpflichtet, aber nehmen Sie nur diese inoffizielle Gegenüberstellung. Warum? Matthias ist vollkommen überzeugt, in Ihrem Mandanten seinen Täter gefunden zu haben, obwohl ich finde, dass dessen Verhalten und einige Ihrer Gegenargumente gestern recht überzeugend waren. Bei einer offiziellen Gegenüberstellung im Präsidium wäre er erneut blamiert, wenn sie ihn doch nicht wiedererkennt, und müsste ihn als Verdächtigen fallen lassen. Auf diese Weise könnte er selbst dann noch einen Trick, eine Verkleidung oder so etwas vermuten und weiterwühlen.«
»Aber eigentlich haben Sie den Verdacht –«, begann Prinz.
Professor Rind wedelte mit seiner Pfeife. »Recht und Gesetz verpflichtet«, unterbrach er schnell. »Regeln gelten für ihn nicht. Ein enormer Widerspruch. Extremer Karriereknick vor einem halben Jahr. Enormer Stress, gleichzeitig nichts Richtiges mehr zu tun. Dann findet er, nun, hm, zufällig Verbindungen in diesen Vermisstenfällen. Oder nicht so zufällig? Das befürchten Sie doch, nicht wahr, Frau Dr. Bläsius? Er kommt damit zu Ihnen, erzählt Ihnen im Auto endlos von seiner Manie mit dieser anderen Frau. In Ihnen keimt der Verdacht, nun, hm …«
Dr. Bläsius drückte die Zigarette aus, sagte nichts.
»Dass er zu Ihnen gekommen ist«, sagte Prinz an ihrer Stelle, »um den enormen Widerspruch aufzulösen und den enormen Stress abzubauen, indem er Ihnen Gelegenheit gibt, ihn selbst als den Serienmörder zu überführen, den er angeblich sucht.«
»Weil er, hm«, setzte Rind den Gedanken fort, »nun dem Drang nicht mehr gewachsen ist, endlich jemanden wissen zu lassen, dass er seit Jahrzehnten, äh …«
Dr. Bläsius lächelte. »Ich muss sagen, Sie sind wirklich gut. Genau. Er ist selbst Polizist, und gleichzeitig ist er ein Serienmörder, der so schlau ist, dass außer ihm selbst kein Polizist überhaupt etwas von dessen Existenz ahnt. Solange er als Polizist
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