Der schlaue Pate
ihm! Er war es nicht!«
Herbert Viehmann schüttelte den Kopf. Andreas sprach äußerst selten mit Ausrufezeichen, beruflich eigentlich nie. Eine Weile blickte er an die Decke. Alles schwieg respektvoll. Dann seufzte er, schien sich in sein Schicksal zu ergeben und sah Björn Spohr an.
»Zuerst die Gegenseite«, sagte er.
Das war zunächst Spohrs Aufgabe: bei Polizei und Staatsanwaltschaft alle Informationen zu besorgen, die er kriegen konnte. Er lächelte leicht; bei seinem wieselartigen Gesicht war es eher ein schräges Grinsen. Jemand musste mit ihm geredet, ihm vielleicht auch Einblick in die Polizeiakten gewährt haben. Da er keine Papiere vor sich hatte, trug er aus einem offenbar beeindruckenden Gedächtnis vor.
Zunächst berichtete er, wer das Opfer war und wie die beiden älteren Töchter die nackte Leiche in der Schrebergartenlaube fanden.
»Sie ist mit einem zwanzig Zentimeter langen Küchenmesser erstochen worden, das der Täter dort aus einer Schublade geholt hat. Der Rechtsmediziner zählte siebenunddreißig Einstiche, hauptsächlich im Brustbereich, aber auch im Unterleib, die mutmaßlich ersten drei im Rücken. Das Gesicht wurde mutmaßlich nach Eintritt des Todes zerschnitten. Die Fotos sehen grauenhaft aus.«
Andreas hielt eins hoch, ließ es dann herumgehen. Es war entsetzlich, einfach nur entsetzlich.
»Und das war mal diese wunderschöne Frau«, sagte Prinz leise und nickte Desirée zu, die eine Titelseite der BILD -Zeitung mit einem großen Foto der lebenden, lächelnden Ellen Kaiser hochhielt.
Die Schlagzeile lautete: »Oberstaatsanwalt ermordet schöne Geliebte!«, als wäre das Urteil schon gesprochen. Eingeklinkt waren ein kleines Kopfbild von Baginski und ein Foto, auf dem Männer in weißen Schutzanzügen einen Metallsarg wegtrugen. Alle nickten, alle hatten die Berichterstattung verfolgt, die bis jetzt ausgesprochen hysterisch war.
Spohr fuhr fort: »Am Griff des Messers fanden sich ausschließlich Fingerabdrücke von Ewald Baginski. Sie hatte noch Reste von Sperma in der Vagina: Es stammt von Ewald Baginski. Die Staatsanwaltschaft geht von einer todsicheren Verurteilung aus. Hinten- SS hat bereits Entgegenkommen signalisiert, wenn wir auf eine Tat im Zustand der Raserei unter Alkoholeinfluss plädieren. In der Laube standen zwei leere Weinflaschen auf einem Tisch. Ellen Kaiser hatte –«
»Augenblick«, unterbrach ihn der ehemalige Minister. »Seine eigene Staatsanwaltschaft ermittelt? Das geht doch nicht! Die Staatsanwaltschaft, deren Leitender er formal noch ist, kann doch nicht gegen ihren eigenen Chef ermitteln!«
»Hinten- SS hat ein polizeiliches Ermittlungsverfahren eingeleitet«, erklärte Andreas, »wozu sie unter den gegebenen Umständen auch gegen ihren eigenen Chef verpflichtet ist. Das geht jetzt erst mal seinen Gang. Demnächst werden Staatsanwälte von der Abteilung Ermittlungsverfahren nach besonderer Zuweisung der hessischen Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt hierhergeschickt werden. Jedenfalls sind sowohl der Generalstaatsanwalt wie auch der Justizminister bereits informiert. Die hiesige Staatsanwaltschaft wird keine weiteren Entscheidungen mehr fällen.«
»Der Prozess soll hier stattfinden? Aber der Mütze kann doch nicht über einen Mann verhandeln, der jahrelang vor ihm plädiert hat, als er noch Oberstaatsanwalt war!«
Heinz-Volker Mütze war der Vorsitzende der 6. Großen Strafkammer am Landgericht Kassel. Vor etwa zehn Jahren war er vorübergehend eine Art weltweite Berühmtheit gewesen, als er den Fall des Kannibalen von Rotenburg verhandelte. Zu Beginn seiner Karriere soll er sehr einfühlsam mit den Angeklagten umgegangen sein und oft milde Urteile gefällt haben, um sich keine Revisionen einzuhandeln. Doch ausgerechnet bei dem Kannibalen hatte ihm der Bundesgerichtshof ein zu mildes Urteil um die Ohren gehauen. Inzwischen hatte er anscheinend gelernt, wie man Urteile »revisionssicher« schreibt, wie das bei Juristen heißt, und fällte harschere Urteile.
»Es herrscht das Prinzip des ›gesetzlichen Richters‹«, widersprach Andreas. »Mütze wäre dran, und Baginski, der viel von ihm hält, würde ihn nicht wegen Befangenheit ablehnen.« Er wandte sich erklärend an die Nichtjuristen im Raum: »›Gesetzlicher Richter‹ bedeutet, zum Jahresende legt das Gericht nach dem Zufallsprinzip fest, welche Fälle im nächsten Jahr welcher Strafkammer zufallen, noch bevor die Fälle überhaupt eingetreten sind. Den ersten kriegen
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