Der schlaue Pate
wir, den zweiten kriegt ihr und so weiter. Damit soll verhindert werden, dass ein Angeklagter durch irgendwelche Machenschaften an einen Richter gerät, der ihm wohlgesinnt ist – oder gerade nicht. Anklage oder Verteidigung können den Richter wegen Befangenheit ablehnen, oder der Richter kann sich selbst für befangen erklären, was in jedem Fall gut begründet werden muss. Die Tatsache, dass man beruflich miteinander zu tun hatte, reicht nicht; man müsste schon privat befreundet oder verfeindet sein.«
Andreas wandte sich wieder an seinen Vater. »Mütze hat schon auf Verdacht der Befangenheit hingewiesen, weil er mit seiner Frau mindestens einmal privat bei den Baginskis zum Essen eingeladen war. Die Nächste in der Reihe, die Vorsitzende der 5. Großen Strafkammer, unserer zweiten Schwurgerichtskammer, ist eine recht neu hierher versetzte Richterin namens Heike Schäfer, vor der er noch keinen Fall vertreten hat und die er privat überhaupt nicht kennt. Die wird niemand für befangen erklären können, nicht einmal sie selbst.«
»Das ist die Enkeltochter des alten Henner Schäfer, der in den Sechzigern mal Landeswirtschaftsminister war. Ich habe gehört, sie soll schärfer sein als Mütze. Die Familie kommt aus Melsungen, womöglich kennt sie das Opfer.« Der ehemalige Minister wiegte bedenklich den Kopf. »Solltet ihr nicht doch beantragen, dass der Prozess vor einem anderen Landgericht stattfindet?«
»Das ist erstens schwierig, selbst wenn sie zugeben sollte, das Opfer zu kennen, und zweitens will Baginski es gar nicht. Er besteht darauf, dass sein Ruf an dem Ort wiederhergestellt wird, an dem er tätig ist.«
Herbert Viehmann schüttelte den Kopf.
Nach kurzem Schweigen fuhr Spohr mit seinem Vortrag fort, exakt an der Stelle, an der er unterbrochen worden war. »Ellen Kaiser hatte 0,5 Promille im Blut, also könnte Baginski etwa zwei Drittel des Weins zu sich genommen haben und –«
Aber er wurde sofort wieder von Herbert Viehmann unterbrochen: »Wie sind sie denn überhaupt auf Baginski gekommen?«
Spohr ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Dazu wollte ich gerade kommen. Die Töchter wussten, mit wem ihre Mutter verabredet war. Einer heimlichen Liebe seit Jahrzehnten, einem gewissen Ewald aus Kassel. Sonst wussten sie nichts über ihn. Ewald ist in unserer protestantischen Region ein ziemlich seltener Name, in katholischen kommt er öfter vor. Die Ermittler des K 11 stellten fest, dass es in Kassel und im Altkreis, den sie sicherheitshalber einbezogen, nur drei Ewalds gibt, alles Katholiken. Von den drei Ewalds sind zwei schon über siebzig und haben bombensichere Alibis. Sie mussten also mit Ewald Baginski reden.«
Er sah sich um. Niemand erhob Einwände.
»Hier muss ich einschieben«, fuhr er fort, »dass es im Zentrum von Melsungen nach Mitternacht praktisch keinen Autoverkehr gibt. Es fand sich nur ein einziger Zeuge, jemand mit schwacher Blase, der aus dem Fenster sah und gegen halb zwei einen fahrenden Wagen bemerkte, der aus der Mauergasse kam und geradeaus auf die B253 fuhr: einen silbergrauen Daihatsu Cuore. Nur ein Mann drin, keine weitere Beschreibung. Am Samstagnachmittag, Silvester, fahren die Kommissare Buggert und Schadow bei Baginskis Privathaus vor, und kurz nach ihnen kommt ein silbergrauer Daihatsu Cuore, dem Baginskis Stiefsohn entsteigt. Sie fragen ihn, ob das sein Wagen sei, und er sagt, der seiner Mutter. Könnte Baginskis Frau ihm gefolgt sein und eine Eifersuchtstat begangen haben? Die Frau war allerdings mit dem Sohn in Baginskis Mercedes zu ihren Eltern nach Eutin in Schleswig-Holstein gefahren, über vierhundert Kilometer entfernt, sie sind erst mittags zurückgekommen, die Eltern bestätigen das.«
»Sie konfrontieren also Baginski«, sagte Herbert Viehmann nachdenklich. »Und?«
»Baginski bricht heulend zusammen, als er von Ellen Kaisers Tod erfährt. Er ist sofort zu einer Speichelprobe und Fingerabdruckabnahme bereit. Während Buggert sicherheitshalber bei Baginski bleibt, rast Schadow, übrigens eine Frau, ins Präsidium, wo zunächst die Abdrücke verglichen werden. Und Bingo.«
Schweigen senkte sich herab, bis Andreas es brach: »Er war sofort zu einer Speichelprobe und Fingerabdruckabnahme bereit. Er ahnte nichts.«
»Hinten- SS hält den Fall nichtsdestotrotz für wasserdicht«, sagte Spohr. »Was die eigentlich ermittelnden Staatsanwälte dazu meinen werden, wissen wir noch nicht.«
»Wie«, fragte der ehemalige Minister, »hat Baginski auf
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