Der schlaue Pate
jetzt weiß ich, dass ich sterben muss.‹«
Desirée sah sich um. Alle schmunzelten über die Anekdoten, nur Prinz verzog keine Miene und murmelte nachdenklich: »Egmont.«
Andreas nickte. »Ein Stück von Goethe. So heißen nur Kinder von Bildungsbürgern, die Wert auf die Klassiker legen. Ein Verwandter?«, fragte er.
»Ein Großneffe oder so. Volker kennt Krähfuß. Dieser Egmont Wildhirt ist inzwischen auch verstorben, aber er hat ein Buch über Kalk geschrieben, das Krähfuß Volker für den Artikel gegeben hat.«
»Ich gehe am Dienstag mit ihm essen«, sagte Andreas. »Er hat letzte Woche angerufen, als er in der Zeitung las, dass ich Baginskis Verteidiger bin. Er hofft wohl, da könnte wieder ein Buch draus werden.«
»Aber von der Bestechung darf er erst mal nichts erfahren«, sagte Prinz.
»Natürlich nicht.«
»Okay, Desirée.« Prinz nickte ihr zu. »Wie sieht’s aus mit unserem Egmont?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ehrlich gesagt, viel gibt’s da nicht. Er ist der aktuelle Nachfolger von Kalk und Wildhirt. Eine Menge Fachveröffentlichungen, er hat einen sehr guten Ruf. Manchmal taucht sein Bild in der Zeitung auf, wenn er mit seiner Frau einen dieser Empfänge aufsucht. Dreiundfünfzig Jahre alt, verheiratet, zwei erwachsene Söhne, die beide ebenfalls Medizin studieren, in Marburg, wo auch er schon studiert hat. Sie wohnen in einer schönen Villa am Fuß des Dörnbergs in einer Villensiedlung. Er hat eine absolut weiße Weste und ist Rotarier. Mit herkömmlichen Methoden habe ich nichts über Schulden oder irgendwelche Laster herausfinden können. Außer dass er Raucher ist, aber das zählt ja nicht.«
»Garantiert nicht«, sagte Andreas und steckte einen Zigarillo an. Ollie und Anja schlossen sich solidarisch mit ihren kroatischen Zigaretten an.
»Könnte Baginski«, fragte Prinz, »diesen Krähfuß kennen?«
Desirée hielt eine Seite aus dem EXTRA TIP hoch, auf der diverse Promis im Gespräch miteinander waren oder in die Kamera lächelten.
»Der Neujahrsempfang der Stadt Kassel im Rathaus, letztes Jahr. Hier steht Krähfuß mit Frau neben seinem obersten Chef, dem Vorstandsvorsitzenden der Gesundheit Nordhessen AG , und neben dem steht Baginski mit Frau.«
»Sie kennen sich also zumindest gesellschaftlich«, sagte Andreas. »Der Neujahrsempfang dieses Jahr ist nächsten Samstag.«
»Er scheint sich mit seinem obersten Chef ganz gut zu stehen«, ergänzte Prinz. »Ich würde nächsten Samstag gern mal einen Blick auf den Knaben werfen.«
»Jedenfalls«, fuhr Desirée fort, »gilt dieser Krähfuß zwar nicht als der renommierteste Leberexperte der Welt, aber es kommen immer noch Leute aus dem Ausland hierher, um sich von ihm im Klinikum behandeln zu lassen.« Sie sah Prinz an. »Die profitabelsten Verbrechen der Zukunft sollen Produktpiraterie und Organhandel sein«, sagte sie.
Prinz lächelte. »Und Produktpiraterie hatten wir ja schon«, meinte er. »Aber wie soll das mit dem Organhandel funktionieren?«
»Vor Kurzem gab es einen großen Bericht auf CNN «, erläuterte Desirée. »Überall auf der Welt warten Millionen Kranke auf neue Organe, und die mit Geld unter ihnen sind bereit, praktisch jeden Preis zu bezahlen, weil sie sonst sterben müssen. Mit legalen Organspenden kommt man da nirgends nach, und außerdem steht man überall auf den Wartelisten nach Datum oder Dringlichkeit, nicht nach Vermögen. In Nordafrika andererseits gibt es Millionen Flüchtlinge, die nach Europa wollen. Dazu müssen sie durch Gebiete von fast unabhängigen Stämmen. Von denen sollen immer mehr Flüchtlinge entführt werden. Und dann tauchen plötzlich Ärzte aus der nächsten Stadt auf. Aber nicht, um sie medizinisch zu versorgen, sondern um sie sozusagen einzuschläfern und komplett auszuweiden. Nieren, Leber, Herz, Lungen, praktisch alles, sogar die Augen. Man hat solche ausgenommenen Leichen gefunden, aber was mit den Organen passiert ist und wo sie von wem an wen transplantiert wurden, das weiß bis jetzt kein Mensch.«
Ingrid schüttelte sich. »Schauderhaft.« Doch dann bekam sie leuchtende Augen. »Aber wenn Krähfuß plötzlich an den offiziellen Spenderorganen vorbei neue Lebern besorgen könnte …«
Alle sahen Anja an, die bis jetzt schweigend geraucht hatte. »Das ist nicht so einfach. Bei Organtransplantationen wird besonders scharf kontrolliert.«
Prinz zuckte die Achseln. »Bestimmt kann man das irgendwie deichseln, dass eine Leberoperation offiziell keine
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