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Der schlaue Pate

Der schlaue Pate

Titel: Der schlaue Pate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Schnell
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wie in England und den   USA   waren die einzige Forderung der gescheiterten Revolution von 1848, die durchgesetzt werden konnte. Nach der Reichsgründung wollten die Konservativen das wieder abschaffen, mussten aber mit den Liberalen einen Kompromiss eingehen: Nur die Berufungsinstanz wurde abgeschafft. Damit war ein Wortprotokoll überflüssig. Das gibt es beim Amtsgericht, wo man vorm Landgericht in Berufung gehen kann, aber beim Landgericht gibt es nur ein Verlaufsprotokoll. Da steht dann drin: ›Die Zeugin Metzger wurde aufgerufen. Die Zeugin Metzger wurde vernommen.‹ Nirgendwo kann man nachlesen, was die Zeugin Metzger ausgesagt hat, außer in der Urteilsbegründung, die der Vorsitzende Richter verfasst. Wenn das Gericht meint, die Aussage der Zeugin Metzger sei für die Urteilsfindung nicht relevant, kann es sie einfach unter den Tisch fallen lassen. Genau das ist mit deiner Aussage passiert, Ingrid.«
    »Ich finde das ganz unglaublich«, kommentierte Ingrid.
    »Tja, die deutsche Justiz hat nun mal eine obrigkeitsstaatliche Tradition, nicht eine demokratische wie in Amerika. Die meisten Juristen finden das gut und verweisen auf Fälle wie O. J. Simpson, der freigesprochen wurde, obwohl er seine Frau und ihren Liebhaber vermutlich umgebracht hat. Es kursiert der Spruch: Wenn du schuldig bist und dir gute Anwälte leisten kannst, hast du in Amerika bessere Chancen, freigesprochen zu werden, wenn du aber arm und unschuldig bist, hast du in Deutschland bessere Chancen, dass deine Unschuld tatsächlich erwiesen wird.« Andreas zog nachdenklich an dem Zigarillo. »Das habe ich auch mal geglaubt. Aber in den letzten Jahren …«
    »Ich hab diesen Blödsinn nie geglaubt«, sagte Spohr.
    »Man kann in Deutschland nicht in Berufung gehen?«, fragte Desirée, die nicht fassen konnte, was sie da zu hören bekam.
    »Nicht bei Kapitalverbrechen, die vorm Landgericht verhandelt werden«, erwiderte Andreas. »Da bleibt nur die Revision beim Bundesgerichtshof, wo allerdings nur geprüft wird, ob juristisch alles korrekt ist, nicht die Sache selbst, oder eine Wiederaufnahme, beides fast unmöglich.«
    »Na ja, du hast es geschafft«, meinte Prinz.
    »Aber das war bisher das einzige Mal, und es lagen gravierende neue Erkenntnisse vor. Die deutsche Richterschaft fand immer, dass Geschworene, also Laienrichter, viel zu viele Freisprüche fällten. In der Weimarer Republik konnte sie sich durchsetzen, und auch das Geschworenengericht wurde abgeschafft, übrig blieben nur die inhaltsleere Bezeichnung ›Schwurgericht‹ und die beiden Schöffen als Laienrichter, die meistens keinen Einfluss haben. Wenn ein deutscher Richter erst einmal ernannt ist, ist er Richter auf Lebenszeit und unterliegt keiner weiteren Kontrolle mehr. Damit ist er viel mehr als ein Beamter, denn er ist weder persönlich noch sachlich an Weisungen gebunden. In Amerika dagegen werden Richter gewählt und müssen wiedergewählt werden. Bei der Bewertung von Beweisen sind die Richter unabhängig, an keine Regeln gebunden, sie können völlig frei entscheiden, ob ein Indiz, eine Aussage oder ein Gutachten überhaupt zulässig ist oder für oder gegen den Angeklagten spricht. Sie können Sachen entscheiden, deren Rechtmäßigkeit gar nicht nachgeprüft werden kann. Weil es kein Wortprotokoll gibt, steht das Ergebnis der Beweisaufnahme nur in der Urteilsbegründung, und weil es keine Berufungsinstanz gibt, können Fehlurteile nur schwer und auch nur selten korrigiert werden. Also hängt alles davon ab, was der Richter für ein Typ ist. Ich muss sagen, dass die meisten ziemlich vernünftig entscheiden, aber es gibt auch Urteile nach Gutsherrenart. Nach meinem bisherigen Eindruck scheinen wir mit der Vorsitzenden Richterin Heike Schäfer Glück zu haben. Trotzdem sind richterlicher Willkür Tür und Tor geöffnet.«
    Desirée schüttelte den Kopf. »Und daran will keiner was ändern?«
    »Niemand will darüber auch nur diskutieren, und weißt du, warum?«
    »Nein. Warum?«
    »Weil die Öffentlichkeit härtere Strafen und schnellere Urteile verlangt, nicht mehr Rechte für Angeklagte und Verurteilte. Jeder Politiker, der so etwas fordert, macht sich unpopulär, deshalb tut das keiner.«
    Am Ostermontag saßen Prinz und Ollie gegen Mittag in dessen Bastelbude vor den Monitoren und beobachteten, was in der letzten Nacht bei Baginskis Haus passiert war.
    22.30   Uhr: Vor Baginskis Haus hielt ein Wagen, wieder ein Golf mit Wolfsburger Nummer, doch nicht der des

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