Der schlaue Pate
es zutrifft, dass eine Firma, die einem gewissen Boris Tews gehört hat, bis zum 31. Dezember nachts und am Wochenende bei den Gerichten und der Staatsanwaltschaft geputzt hat.«
Ich starrte ihn an. Dann klickte es. Sie hatten tatsächlich andere Täter. Sie wussten, wer Ellen Kaiser in Wirklichkeit umgebracht hatte. Profis, wie Baginski ausgesagt hatte.
»Ich sollte mir auch die Krankmeldung bestätigen lassen. Und nach der abgepausten Unterschrift fragen.«
»Das geben die doch nicht zu.«
»Nein, aber wenn sie dumm genug sind, zu dementieren statt ›Kein Kommentar‹ zu sagen, habe ich etwas in der Hand. Die Bullen werden nämlich bei mir auflaufen und nach Quellen fragen.«
»Die du natürlich schützen wirst.«
»Das Gericht hat gewisse Möglichkeiten, auch Journalisten zu Aussagen zu zwingen. Ich glaube, das Zeugnisverweigerungsrecht entfällt, wenn die Aussage zur Aufklärung eines Verbrechens beitragen soll oder so ähnlich.«
Er nickte. »Aber das dauert mindestens ein paar Tage.«
Behaglich war mir die Sache nicht. Ich habe keine Ahnung, wie schnell man eingesperrt werden kann, um Aussagen zu erzwingen, und ich war noch nie im Knast gewesen. »Bis wann muss ich durchhalten?«
»Bis ich aussage. Entweder vor Gericht oder vor den Staatsanwälten, wenn sie Aussetzung beantragen. Wenn du es Samstag in die Zeitung bringst, ist Dienstag der nächste Verhandlungstag. Mittwoch spätestens, würde ich sagen.« Er wartete meine Antwort nicht ab, schlüpfte aus dem Wagen und lief die ersten Meter geduckt.
Am Donnerstag bekam ich keine Post. Abends rief ich den Staatsanwalt zu Hause an, der sagte, von ihm hätte ich das nicht, aber er habe gehört, dass so etwas in der fünften Etage schon mal vorgekommen sei. Die stellvertretende und jetzt kommissarische Leiterin konnte genauso gut unterschreiben, aber bei ganz eiligen Sachen hätte sie gerüchteweise schon mal für mehr Nachdruck gesorgt, indem dann doch die Unterschrift des Leitenden da stand. Das sei dann aber ganz sicher telefonisch abgeklärt worden.
Am Freitag saß ich morgens wieder auf meinem Stammplatz im Gericht. Der Rechtsmediziner, ein komischer kleiner Kerl, war als Erster dran, es dauerte eine knappe Stunde, ohne dass man irgendetwas Neues erfahren hätte. Dann kam erst der psychiatrische Gutachter. Er sagte es nicht direkt, aber ich hatte den Eindruck, dass Baginski kein Wort mit ihm geredet hatte. Es wurde viel auf seinem Alkoholismus herumgeritten, der enthemme und zu Kurzschlusshandlungen auch unter nur geringem Alkoholeinfluss befähige; außerdem sei nicht zu ermitteln, wie viel er in der Tatnacht tatsächlich getrunken habe. Baginski sei unter entsprechenden Umständen mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer solchen Tat fähig. Wieder etwa eine Stunde.
Professor Rind war als Nächster dran. Er sagte, jeder Mensch sei unter entsprechenden Umständen zu jeder Tat fähig, aber Baginski unter den geschilderten nicht zu dieser. Vor fünfzehn Jahren, als die Geschädigte ihm eine erneute Schwangerschaft mit ihrem Mann gestand, vor neun Jahren, als sie erst einen neuen Mann und dann eine erneute Schwangerschaft gestand, vor sechs Jahren, als sie wieder schwanger wurde, und vor fünf Jahren, als sie ihm nach der Geburt des jüngsten Kindes mitteilte, er dürfe sie nicht mehr besuchen und sie würden sich länger als ein Jahr nicht sehen, sei er auch schon Alkoholiker gewesen. Das seien gravierende Anlässe gewesen, doch habe er ihr niemals etwas angetan. Baginski sei, wie seine Kollegen bestätigten, ein sogenannter »funktionierender Alkoholiker, er trinkt nur abends, er weiß genau, an welchen Abenden er nicht trinken darf, weil er am nächsten Morgen fit sein muss, wann er wie viel trinken kann, um zum Beispiel noch fahren zu können, und wann er sich völlig gehen lassen kann. Er hat ausreichend funktioniert, um in der Tatnacht sicher nach Hause zu fahren. Bei einem Menschen, der zuvor nie ein Verbrechen begangen hat, bei einem Alkoholiker, der nach einer solchen Tat an einem von ihm geliebten Menschen eine fast volle Flasche Whisky zur Verfügung hat, ist das völlig auszuschließen.«
Dann kam noch der Zeuge, der den silbergrauen Daihatsu Cuore auf der Straße gesehen hatte, ein Rentner, der nachts auf die Toilette musste und aus dem Fenster sah. Es ging eigentlich nur darum, ob Baginski Schlangenlinien fuhr oder nicht, denn er bestritt ja nicht, zur angegebenen Zeit dort entlanggefahren zu sein. Der Zeuge hatte den Eindruck gehabt,
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