Der schlaue Pate
schüttelte. Was ging hier vor? Sagte die Tochter für den Mörder ihrer Mutter aus? Seit gestern konnte es eigentlich keinen Zweifel mehr geben, dass er wirklich der Täter war.
»Er hat immer was Tolles mit mir gespielt, aber ich weiß nicht mehr –«
»Darf ich etwas einwerfen, Frau Vorsitzende?«, fragte Andreas.
»Knapp und zur Sache bitte.«
»Ganz knapp. Staubsauger. Es hieß Staubsauger.«
»Ja!« Sophie Kaiser klang, als würde sie strahlen. Sie erklärte das Spiel. Viele im Zuschauerraum lächelten.
Der Vorsitzenden schien die Richtung nicht zu passen, in der das lief. »Ich halte Ihnen jetzt vor, was Sie bei zwei polizeilichen Vernehmungen ausgesagt haben.« Sie las einen außerordentlich drögen Text vor, in dem nur von einem Ewald aus Kassel die Rede war. »Von der Art Ihrer persönlichen Beziehung zum Angeklagten berichten Sie heute zum ersten Mal.«
»Meine Mutter war gerade ermordet worden. Ich stand unter Schock. An all diese Sachen habe ich mich erst viel später wieder erinnert.«
Die Vorsitzende fragte, ob die Zeugin in der Nacht irgendetwas bemerkt habe, was diese verneinte, und forderte sie auf, vom nächsten Morgen zu berichten. Sophie Kaiser erzählte stockend, schließlich schluchzend, wie sie die Leiche ihrer Mutter fand, ihre kleine Schwester vom Betreten der Laube abhielt und mit ihrem Handy den Notruf wählte. Im Zuschauerraum war es totenstill. Die Vorsitzende fragte, ob die Zeugin irgendetwas am Tatort verändert habe, was diese verneinte, und dann den Staatsanwalt, ob er Rückfragen habe, der auch verneinte. Die Nebenklägerin wollte genau wissen, wie das Leben der Familie nun aussah, der die Mutter geraubt worden war, was Sophie Kaiser erschütternd schilderte, und wie sie den Brüdern beibrachte, dass ihre Mutter tot war.
»Ich habe gesagt, Mama ist ganz böses Aua passiert. Mama ist jetzt ein Engel im Himmel.«
Fast alle Frauen im Publikum schluchzten unterdrückt. Ich hatte den Eindruck, das Ganze war auf ein möglichst hohes Strafmaß berechnet.
Dann kam Andreas an die Reihe, der versuchte, den Schaden zu begrenzen. »Frau Kaiser, der Angeklagte hat Sie bis vor fünf Jahren über einen Zeitraum von elf Jahren sehr oft besucht, nicht wahr?«
»Ja, er war oft da.«
»Wissen Sie, warum das plötzlich aufhörte?«
»Weil Lukas, das ist der ältere von meinen beiden Brüdern, seinem Vater etwas erzählt hat. Da hat es einen schlimmen Streit mit Saed gegeben. Danach haben sie sich, wie ich schon sagte, heimlich getroffen.«
»Und Sie sind, als Sie klein waren, morgens immer zu ihm unter die Decke geschlüpft, um ihn wach zu kitzeln, nicht wahr?«
Wieder hörte ich das Lächeln in ihrer Stimme. »Ja, das stimmt.«
»Haben Sie je einen Streit zwischen Ihrer Mutter und dem Angeklagten beobachtet?«
»Nein, nie. Sie hat sich mit ihm immer besser verstanden als mit allen anderen Männern. Dass sie nicht … na ja, dass sie nicht richtig … das wusste ich gar nicht.«
»Würden Sie dem Angeklagten zutrauen, eine solche Tat zu begehen?«
»Ich glaube nicht«, sagte der Staatsanwalt, »dass die Zeugin eine solche Frage beantworten kann.«
»Deshalb habe ich sie bewusst im Konjunktiv formuliert.«
Die Vorsitzende nickte. Sophie Kaiser drehte den Kopf und sah Baginski an. Sie lächelte ein bisschen. Baginski lächelte zurück. Getuschel im Zuschauerraum. »Dem Ewald, den ich damals kannte, hätte ich so etwas niemals zugetraut.«
»Und heute?«
»Das kann die Zeugin, glaube ich, wirklich nicht sagen«, meinte die Vorsitzende. »Heute kennt sie ihn ja nicht.«
»Keine weiteren Fragen.« Andreas setzte sich.
Die Vorsitzende fragte Anklage und Verteidigung, ob eine Vereidigung der Zeugin verlangt werde. Köpfeschütteln. »Dann wird die Zeugin nach Paragraf 59 S t PO unvereidigt entlassen. Da Sie zur Nebenklage gehören, dürfen Sie sich wieder an Ihren Platz begeben, Frau Kaiser.«
Dort flüsterte ihr Onkel wütend auf sie ein; sie blickte starr und trotzig nach vorn.
Das war allerdings schon der Höhepunkt des Tages. Was nun folgte, war entsetzlich langweilig und zog sich in quälender Länge hin. Nacheinander marschierten der Notarzt und der Sanitäter des Rettungswagens und die vier uniformierten Polizisten auf, die als Erste am Tatort eintrafen, und wurden bis in kleinste Einzelheiten nach dem befragt, was sie vorfanden, was sie taten, ob sie etwas am Tatort verändert hatten. Dauernd wurden Akten gewälzt, denn die Zeugen hatten das alles längst ausgesagt.
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