Der schlaue Pate
soll irgendeiner mit Insider-Informationen in der Schweiz gelesen haben?«
Desirée lächelte. »Von uns hat er das jedenfalls nicht bekommen.«
»Und das soll ich glauben, ja?«
Das war kein guter Anfang, aber Sophie bat sie trotzdem herein und stellte sie den drei anderen Kindern von Ellen Kaiser als jemand vor, »die meint, Mama sei in Wahrheit von jemand anders ermordet worden, und den will sie finden«.
Marie, die Fünfzehnjährige, war auch blond und hübsch, aber ein bisschen dicklich, vielleicht neuer Kummerspeck. Den beiden kleinen Söhnen war der andere Vater sofort anzusehen, sie hatten einen dunkleren Teint und fast schwarze Haare. Alle drei gaben ihr höflich die Hand, antworteten aber nicht auf ihre Frage, wie es ihnen gehe und was sie gerade machten. Die Ablehnung stand ihnen im Gesicht geschrieben, doch Sophie schien alles vorher intern geklärt zu haben.
Das Haus war auch innen schön eingerichtet, aber ziemlich unordentlich, im Wohnzimmer stolperte Desirée über herumliegende Spielsachen, der Monitor des Fernsehers war verstaubt. Sophie geleitete sie »in das Zimmer meiner Mutter«, vorbei an der Küche, in der das Chaos herrschte, dann eine Treppe hoch, auf der Kleidungsstücke herumlagen.
Im Zimmer von Ellen Kaiser lag der Staub mehrere Millimeter dick. Es war recht schlicht eingerichtet, Bett, zwei Sessel vor einem weiteren, noch verstaubteren Fernseher, einer der Sessel offenbar zum Füßehochlegen, wenn sie allein gewesen war, Schreibtisch mit Computer und einem Stuhl davor, auf dem Tisch stapelten sich Fotoalben neben der von Sophie gefundenen Mappe, großer Kleiderschrank, kleines Bücherregal.
Desirée steuerte, wie immer wenn sie zum ersten Mal den privaten Raum eines Menschen betrat, sofort auf das Regal zu und überflog die Buchrücken. Viel Esoterisches, aber auch Christliches, einiges über Beziehungen, ein bisschen was Feministisches, ein paar Romane von Frauen, ein paar von Paulo Coelho. In Ewald Baginskis Erzählungen war sie als eine recht kluge Frau erschienen, doch eine Intellektuelle war Ellen Kaiser nicht gewesen.
»Bis auf meine Suche neulich hat keiner das Zimmer betreten, seit …«, sagte Sophie. »Die Mappe war da drin, ganz unten.« Sie zeigte auf eine Schublade des Schreibtischs, in der ein Schlüssel steckte. »Der Schlüssel war in ihrem Schmuckkästchen im Schrank.« Sie setzten sich in die Sessel. »Also, wenn es die Russenmafia war, weiß ich nicht, was du eigentlich noch hier willst.«
Desirée setzte ihr freundlichstes Lächeln auf. »Also, erst mal habe ich dir das hier mitgebracht.« Sie holte den Player aus ihrem Rucksack. »Da ist alles drauf, aber es sind viele Stunden. Ich lasse dir das Gerät da, wenn ich mir die Sachen aus der Mappe und vielleicht ein paar Fotos aus den Alben ausleihen kann, um Kopien zu machen.«
»Wieso?«
»Seine Briefe könnten wichtige Beweismittel sein, wir wissen ja noch nicht, was das Gericht von der Geschichte mit der Russenmafia hält. Bei den Fotos bin ich einfach nur neugierig. Aber du kriegst alles zurück.«
Sophie nickte, griff nach dem Player und stand auf. »Ich bin auch neugierig, ich fang schon mal an, aber ich will mir das lieber allein anhören. Mein Zimmer ist gleich die nächste Tür links. Bis dann.«
Sie rauschte hinaus. Desirée starrte verblüfft die Tür an. Damit hatte sie nicht gerechnet, aber eigentlich war es ihr lieber so. Sie sah sich zunächst die Fotos aus der Zeit im Internat an. Auch schon als Achtzehn-, Neunzehnjährige war Ellen Kaiser von strahlender Schönheit gewesen, und Ewald Baginski schien als Fotograf recht begabt gewesen zu sein, denn er hatte ihre Schönheit gekonnt eingefangen. Verblüfft stolperte Desirée über ein knappes Dutzend Aktfotos, im Freien aufgenommen, offenbar bei einer einzigen Gelegenheit, Ellen Kaiser in allen möglichen, teils ziemlich erotischen Posen, von allen Seiten. Es gab auch Fotos von Ewald Baginski, der zu Desirées Überraschung gar kein so unhübscher Junge gewesen war, auch wenn sie sich nicht von ihm angezogen fühlte. Auf einigen Fotos hielt er etwas vors Auge, das nach Desirées Annahme eine alte Super-8-Kamera sein könnte. Hatte Ellen ihn fotografiert, wie er sie filmte?
Von Filmaufnahmen hatte er nie etwas gesagt.
Dann nahm sie sich seine Briefe vor. Schreiben konnte er auch ganz gut, es waren wirklich schöne Briefe, teilweise ergreifend, manchmal flehend, immer von einer großen Liebe zeugend. Die lustigen Postkarten hatten originelle
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