Der schlaue Pate
dass der Wagen weder auffällig langsam noch auffällig schnell noch nicht geradeaus gefahren war. Der Staatsanwalt wollte ganz genau wissen, wo der Zeuge in seinem Haus gestanden und was für einen Blickwinkel er gehabt hatte und ob ihn sein Eindruck möglicherweise täuschen könnte. Irgendwann reichte das sogar der Vorsitzenden. Andreas ließ den Zeugen nur noch einmal klarstellen, was er bereits die ganze Zeit gesagt hatte.
Mittagspause. Ich raste nach Hause, fand einen Brief ohne Absender im Briefkasten. Abgestempelt in Bern, der Hauptstadt der Schweiz. Darin das, was Sie schon wissen, und ein Zettel, auf dem gedruckt stand: »Die Spur führt nach Russland.«
Bei der Staatsanwaltschaft bestätigte man mir, dass Baginski seit dem 12. Dezember krankgeschrieben war und dass es für die Aktion vom 17. gewisse Hinweise von dritter Seite gegeben habe, die eingingen, als er nicht im Haus war. Als ich nach der Putzfirma von Boris Tews und der abgepausten Unterschrift fragte, hieß es: »Kein Kommentar.« Nun ja, nicht zu ändern. Im Landgericht ebenfalls, aber im Amtsgericht sagte man mir, für die Gebäudepflege sei eine landeseigene Stelle namens »Hessisches Immobilienmanagement« zuständig. Dort bekam ich die Bestätigung für die Putzfirma.
Ich rief Horst Seidenfaden an, wurde nach Rückfrage seiner Sekretärin tatsächlich durchgestellt. Er meinte: »Schicken Sie’s mir halt, ich sehe es mir an.«
»Ich habe noch nichts geschrieben. Es geht um den Baginski-Prozess, und es ist ein echter Knüller, den ich exklusiv habe. Ich würde Ihnen gern erst zeigen, was ich habe, und es dann bei Ihnen schreiben. Ihre Hausanwälte werden es sich auch ansehen müssen. Aber ich muss bis vier im Gericht sein.«
Er zögerte. Ich wusste nicht genau, wann sie Redaktionsschluss hatten. Um fünf?
»Kommen Sie danach sofort her. Entscheiden werde ich das erst, wenn ich im Bilde bin.«
Ich raste zurück ins Gericht (und wurde natürlich zweimal geblitzt). Die nächste Zeugin war Manuela Baginski. Warum die Zeugen in welcher Reihenfolge aufgerufen wurden, erschloss sich mir nicht. Andreas erzählte mir später, das werde die Vorsitzende nach eigenem Ermessen festlegen, je nachdem, wie es ihr für einen zügigen Fortgang und eine rasche Urteilsfindung geeignet erscheine. »Prozess«, dozierte er, wie es manchmal seine Art war, »kommt von ›procedere‹, und das heißt ›fortschreiten‹.« Das Gericht selbst, Anklage, Nebenklage und Verteidigung können Zeugen benennen, einen früheren oder späteren Zeitpunkt der Vernehmung eines Zeugen beantragen, aber eine »Zeugin der Anklage«, wie in dem berühmten Film, oder der Verteidigung gibt es in Deutschland gar nicht, ebenso wenig wie ein Kreuzverhör. Das alles hatte ich nicht gewusst. Wer in Deutschland nie mit einem Prozess zu tun hatte, weiß oft viel mehr über die angelsächsische Justiz als über die deutsche, wegen all der grandiosen Romane und Filme.
Manuela Baginski war überraschend attraktiv. Sie war zurückhaltend angezogen, aber ihre perfekte Figur ließ sich gar nicht verbergen. Ihr Haar, das sie in kurzen Locken trug, schien ziemlich dünn zu sein, sie war nicht schön wie Ellen Kaiser, dazu waren ihren Lippen zu schmal und ihre Nase zu groß, aber sie hatte tolle Augen, und sie strahlte eine Sinnlichkeit aus, von der sich jeder Mann im Saal sofort angezogen fühlte. Sie gab an, fünfundfünfzig Jahre alt zu sein; ich hätte sie für mindestens zehn Jahre jünger gehalten. Sie erinnerte mich ein wenig an Ingrid, die ein paar Jahre älter war, und ich bemerkte, dass Ingrid sie scharf musterte; Frauen erkennen eine Konkurrentin ja immer sofort. Dieser Baginski sah in meinen Augen nach nichts aus, mit den kurz geschorenen Haaren und der meist versteinerten Miene sogar regelrecht hässlich, der Körper wirkte schwächlich, auf älteren Fotos fiel ihm eine jungenhafte Tolle in die Augen, und er war mal ziemlich dick, fast schon fett gewesen. Er kriegte nur einen hoch, wenn die Frau sich richtig ins Zeug legte. Und der Typ hatte diese tolle Frau und eine richtige Schönheit abgekriegt und jahrelang gleichzeitig nebeneinander gehabt?
Manuela Baginski tauschte ein freundschaftliches Lächeln mit ihrem Mann, verweigerte nicht die Aussage, wozu sie das Recht gehabt hätte, sie bestätigte, soweit sie davon wusste, die Aussagen ihres Mannes und teilte die Einschätzung von Professor Rind.
»Er wird nie gewalttätig, nicht einmal, wenn er volltrunken ist. Er ist ein
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