Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur
meine düstere Stimmung nicht.
»Du Glückliche! Du hast ein traumhaftes Kleid, wundervollen Putz und den idealen Ehemann! Könnten wir doch an deiner Stelle sein! Mach nicht so ein Gesicht wie bei einer Beerdigung!«
Nach der rituellen Waschung im Hammam fuhr uns der Chauffeur nach Hause zurück. Er musterte mich ernst im Rückspiegel, aber ich schwieg den ganzen Weg über. Beim Aussteigen reichte er mir zuvorkommend die Hand.
»Meinen Glückwunsch, junge und hübsche Braut! Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen, dass Sie glücklich werden!«
Ich war gerührt.
»Ich danke Ihnen. Ihre Töchter haben großes Glück, einen solchen Vater zu haben!«
Meine Mutter beglückwünschte mich ebenfalls und begleitete mich bis zu meinem Zimmer.
In arabischen Ländern darf die Braut sich nur in Begleitung zeigen und muss tun, was man von ihr verlangt. Man hält es für notwendig, sie auf diese Weise in die Obhut ihres zukünftigen Ehemanns zu geleiten.
Außerdem muss die Braut sich ständig vor dem bösen Blick hüten. Laut einem muslimischen Aberglauben könnte unter all den Personen, die sie beobachten, ein neidischer Mensch sein, der Unglück über die Familie bringt.
»Bleib in deinem Zimmer, und rühr dich nicht«, mahnte meine Mutter unentwegt. »Ich werde dir dein Essen bringen,und dieses Mal versuchst du alles aufzuessen. Sonst glaubt dein Ehemann noch, wir ließen dich hungern.«
Ich bat sie, einen Moment bei mir zu bleiben.
»Mama, ich will euch nicht verlassen. Ich habe Angst, allein mit diesem Mann zu leben. Bitte sorge dafür, dass er mich nicht weit von hier fortbringt.«
»Das habe ich die ganze Zeit befürchtet! Ich wusste, dass du diese Heirat hintertreibst. Du kannst es nicht ertragen, glückliche Menschen um dich herum zu sehen. Immer schaffst du Probleme! Nach all der Mühe und der ganzen Zeit, die es deinen Vater und mich gekostet hat, deine Hochzeit vorzubereiten, willst du nun alles verderben? Nimm dich zusammen! Verhalte dich ein einziges Mal wie eine Erwachsene. Lass uns diesen so sehnlich erwarteten Tag genießen. So können wir dich wenigstens, wenn du uns verlässt, in guter Erinnerung behalten.«
»Ich fürchte mich davor, unter einem Dach mit diesem Mann zu leben, den ich gar nicht kenne.«
»Hör zu«, sagte sie nun ruhig. »Ich werde es dir anhand eines Bildes erklären. Nimm an, dass zwei Teller vor dir stehen. Der eine ist mit einer Suppe gefüllt, die deine Eltern zubereitet haben, der andere mit einem schönen Rinderbraten, dessen Herkunft du nicht kennst. Welchen Teller würdest du wählen?«
»Den Teller, den ihr mir bereitet habt. Aber jetzt geht es weder um Suppe noch um Rinderbraten, es geht um mein Leben! Bedeutet das denn gar nichts für euch?«
»Samia, ich will keinen Widerspruch hören«, antwortete sie barsch. »Du wirst mit ihm fortgehen. Wir übergeben dich schließlich nicht deinem Henker. Ich kannte deinen Vater vor meiner Hochzeitsnacht auch nicht und bin nicht daran gestorben. Sieh dir das Leben an, das ich heute führe. Ich bin sicher, dass dein Leben dem meinen ähneln wird. Denn wir haben Abdel ja für dich ausgesucht. Sollte er dir jemals Schwierigkeiten bereiten, sind wir da, um dir zu helfen. Aber mach uns um Gottes willen keine Schande vor all den Gästen, und lächele bitte.«
Ich blieb mit meinen Tränen allein zurück.
Irgendwann wurden die Freudenschreie lauter und noch spitzer, sodass ich rätselte, was nun geschehen würde.
Meine Großtante verkündete mir, dass die Hanaya ein drittes und letztes Mal gekommen sei.
Die Hanaya hat die Aufgabe, die Braut mit Hennafärbungen zu verschönern, wie es in Algerien üblich ist. Drei Tage benötigt sie, um ihre Malereien zu vollenden. Mit Farbpuder zeichnet sie Verzierungen auf die Hände und Füße der Braut. Je dunkler das Henna ist, desto länger werden die farbigen Muster Bestand haben. Die Farbe wird als »Licht des Propheten« angesehen, und nur die vertrautesten Gäste dürfen diese Glück bringenden Zeichen berühren.
Ich für meinen Teil habe Henna nie gemocht und an diesem Tag schon gar nicht. Es kam mir vor, als würde man mir wie einem Tier ein Zeichen einbrennen. Ich hätte mir gewünscht, dass es mich hässlich und abstoßend machte, sodass der von meinen Eltern Auserwählte mich zurückweisen würde. Sobald ich an ihn dachte, befielen mich Magenkrämpfe.
Die Worte der Hanaya brachten mich in die Wirklichkeit zurück.
»Du siehst nicht gerade fröhlich aus«, rief die Künstlerin empört.
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