Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur
Türschwelle stehen bleiben.
Alle im Haus versammelten Frauen, einschließlich meiner Mutter, stürzten auf mich zu und maßen mich rundherum mit prüfenden Blicken. Ihre Begeisterung kannte keine Grenzen, und sie beglückwünschten meine Mutter überschwänglich.
»Mein Gott, wie schön unsere Samia ist! Wie wundervoll Ihre Tochter aussieht!«
Meine Mutter betrachtete mich voller Stolz. Als wir dann allein in meinem Zimmer waren, sagte sie:
»Sieh nur, wie verändert du aussiehst. Wie hübsch du bist! Das ist der ideale Augenblick, um schön zu sein, denn so wirst du deinem Ehemann noch mehr gefallen! Als ich heiratete, hatte ich bei Weitem nicht so viel wie du. Du kannst dich glücklich schätzen, meine Tochter! In einer Stunde wirst du nicht mehr Mademoiselle Shariff, sondern Madame Adibe sein.«
Nachdem meine Mutter gegangen war, brach ich erneut in Tränen aus. Ich wurde immer nervöser, denn ich fürchtete den Augenblick, in dem ich meinem künftigen Ehemann gegenübertreten würde. Was sollte ich zu ihm sagen? Worüber können zwei Fremde, die heiraten, miteinander reden? Die einzigen männlichen Wesen, mit denen ich jemals gesprochen hatte, waren meine Brüder oder Altersgenossen meines Vaters.
In Kürze würde mich ein Mann nach meinem Einverständnis fragen und mir ein Schriftstück zur Unterschrift vorlegen. In seiner Gegenwart musste ich mein Gesicht verschleiern. Zehn Minuten lang hörte ich, wie draußen Verse aus dem Koran rezitiert wurden, dann kehrte völlige Stille ein. Ein wichtiger Augenblick stand bevor.
Es klopfte. Die Tür ging auf, und der beste Freund meines Vaters, der zugleich sein Arzt war, trat in mein Zimmer.
»Guten Tag, meine Tochter! Heb deinen Schleier ein wenig, damit ich deine schönen Augen sehen kann.«
Ich legte meinen Schleier ab.
»Dein Vater hat mich als Hauptzeugen gewählt, der deine Zustimmung einholen soll, bevor du Abdel übergeben wirst. Willigst du ein, meine Tochter?«
Tieftraurig sah ich ihn an.
»Sehe ich so aus, als würde ich einwilligen, Onkel Ali? Glauben Sie, dass ich damit einverstanden bin, was sie hier machen?«
»Was soll das heißen? Bedeutet es etwa, dass du nicht einwilligst, meine Tochter?«
Ich nickte.
»Warum hast du dann zugelassen, dass deine Eltern diese Ehe arrangieren?«, bohrte er nach.
»Hab Mitleid, Onkel Ali, ich bitte dich. Hindere sie daran, dass sie mich zu dieser Heirat zwingen. Ich denke sogar schon daran, mir das Leben zu nehmen, um den Prüfungen zu entgehen, die mir bevorstehen, selbst wenn niemand um mich weinen wird.«
»Was soll ich jetzt deinem Vater sagen? Am besten hole ich ihn selbst.«
Da wurde mir klar, dass ich so schnell wie möglich einlenken musste, um dem Zorn meines Vaters zu entgehen. Also hielt ich Onkel Ali zurück.
»Samia, ich kann es nicht akzeptieren, dass du gegen deine Überzeugung handelst. Ich will nicht dazu beitragen, dass du ein solches Opfer bringst. Mach dir keine Sorgen, Samia. Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um eine Lösung für dieses Problem zu finden.«
Damit verließ er das Zimmer. Erneut flossen meine Tränen, ich hatte Angst und fürchtete mich obendrein vor der Wut meines Vaters. Schon bereute ich mein Verhalten und machte mir Vorwürfe, dass ich nun meinen Eltern diesen so wichtigen Tag verdorben hatte. Ich ohrfeigte mich selbst und verfluchte mich.
Dann vernahm ich die Schritte meines Vaters. Mir stockte der Atem, als er die Tür aufriss. Er blickte mich mit solchem Hass an, dass ich mein Gesicht in den Händen verbarg.
»Wären nicht die Gäste hier, so würde ich dir mit Freuden eigenhändig die Kehle durchschneiden und dein Blut trinken, du Tochter des Unglücks«, tobte er. »Du bist nicht von meinem Blut, du bist nicht meine Tochter, sondern die Tochter des Satans. Bis zum letzten Tag, den du unter meinem Dach verbringst, hast du mir das Leben vergiftet. Dich schickt der Teufel, ist es nicht so? Du wirst jetzt den Mund halten und mir gehorchen und heiraten. Dann bin ich dich ein für alle Mal los. Und selbst wenn Hunde dich zerfleischen sollten, würde ich mich nicht darum scheren. Hast du mich verstanden?«
»Ja, Vater. Es tut mir leid, dass ich mich so verhalten habe!«
»Deine Krokodilstränen kannst du dir sparen, denn sie rühren mich nicht im Geringsten.«
Damit ging er hinaus und warf die Tür hinter sich zu. Ich versank in einem Meer von Tränen. Onkel Ali hatte seine Frau Karima gebeten, mich zu trösten. Als sie mich erblickte, weinte sie
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