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Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur

Titel: Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samia Shariff
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»Nach der Hennafärbung und der Enthaarung werden wir zu Amira gehen, der besten Friseurin des Landes. Ganz ehrlich, mein Mädchen, ich habe selten eine großartigere Hochzeit erlebt als deine. Alles ist mit großem Geschmack ausgewählt worden. Was wirst du nach der Hochzeit mit deinem Hochzeitskleid anstellen?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete ich aufrichtig. »Fragen Sie meine Mutter, denn sie hat es gekauft.«
    »Ich würde es gerne meiner Tochter schenken, wenn es möglich ist. Ich hoffe, dass sie ebensolches Glück hat wie du. Was du hier erlebst, ist wirklich außergewöhnlich, das kannst du mir glauben.«
    Für mich jedoch war es ein furchtbares Unglück! Alles hätte ich darum gegeben, in einem anderen Land zu leben und in einer anderen Familie geboren worden zu sein!
    Nun aber rückte der Augenblick der vollständigen Enthaarung heran.
    Die muslimische Braut darf kein einziges Haar am ganzen Körper haben, mit Ausnahme des Haupthaars und der Augenbrauen, die schmal gezupft werden müssen. Außerdem verlangt die Tradition, dass die Enthaarung mit Wachs durchgeführt wird.
    Da ich mir noch nie irgendwo Haare entfernt hatte, warnte mich die Hanaya, dass diese Prozedur schmerzhaft sein könne. Und das war sie auch! Ob mir der Schmerz bei der Enthaarung oder der Kummer über mein Schicksal die Tränen in die Augen trieb, vermag ich nicht zu sagen.
    Als meine Mutter das Ergebnis begutachtete, runzelte sie die Stirn.
    »Du hast die Augenbrauen zu schmal gezupft«, warf sie der Hanaya vor. »Ich weiß nicht, ob ihr Vater zufrieden sein wird.«
    »Hör zu«, erwiderte die Hanaya. »Ihr Vater sollte die Leine endlich loslassen, denn sie geht nun zu ihrem Ehemann. Das Unglück soll ihn treffen, wenn er keine schmalen Augenbrauen mag.«
    Da brachen beide in Gelächter aus. Ich aber stand neben ihnen wie eine Puppe, mit der man nach Belieben umspringen kann.
    »Nun fehlen noch die Frisur und die Schminke. Wollen Sie mitkommen, Madame Shariff?«
    »Nein, ihre beiden Cousinen werden sie begleiten. MeinPlatz ist hier im Haus. Ich gebe ihnen den Schleier von Samia und sage dem Chauffeur Bescheid.«
    Nachdem ich die letzten drei Tage fast ausschließlich in meinem Zimmer verbracht hatte, nutzte ich nun die Gelegenheit zu sehen, was draußen vor sich ging.
    Als ich in den Wagen stieg, hatte ich nicht den Mut, den Chauffeur anzublicken, denn ich spürte, dass er Mitleid mit mir hatte.
    »Können Sie bitte Musik anmachen?«, bat meine Begleiterin. »Wir sind auf dem Weg zu einer Hochzeit, nicht zu einem Begräbnis.«
    Zweifellos um mir einen Gefallen zu tun, wählte er die Musik, die ich früher immer so gerne gehört hatte. Er wusste nicht, dass es sich um eine der CD s handelte, die mein Vater an meinem letzten Schultag zerbrochen hatte. Sogar die Musik führte mir mein Unglück vor Augen!
    Der Chauffeur fuhr uns zu der Friseurin. Drei Stunden später sollte er uns wieder abholen.
    »Sind Sie die Braut?«, fragte die Friseurin eine meiner beiden Begleiterinnen.
    »Ich wäre es gerne, aber es ist die kleine Samia!«
    »Wie alt bist du?«, wollte sie von mir wissen.
    »Sechzehn, Madame.«
    »Du siehst aber aus wie vierzehn. Bist du sicher, was dein Alter angeht? Ich würde das gerne mit deiner Mutter klären!«, sagte sie und musterte mich, als sei ich ein verwundetes Tier. »Was für eine Frisur möchtest du haben? Deine Haare sind wunderschön. Es wäre schade, wenn wir zu viel abschneiden.«
    Sie redete mit mir wie mit einem kleinen Kind. Offenbar fiel es ihr schwer, in mir die zukünftige Ehefrau zu sehen.
    »Ich habe nicht die geringste Ahnung, Madame. Machen Sie es so, wie Sie es für richtig halten.«
    Die Friseurin zeigte Verständnis und verschonte mich mit weiteren Fragen. Sie hob meine Haare hoch und drehte sie zueinem Knoten, der doppelt so groß wie mein Kopf war. Dann machte sich die Kosmetikerin an die Arbeit. Ich bat sie um ein dezentes Make-up, da ich ständig weinen musste.
    Als die beiden Frauen fertig waren, nahm ich teilnahmslos ihre Glückwünsche entgegen. Draußen empfing mich der Chauffeur mit einem Lächeln.
    »Du bist so hübsch, mein Mädchen! Möge Gott dich beschützen!«
    Wenn die Fahrt doch ewig gedauert hätte! Doch kurze Zeit später waren wir wieder zu Hause.
    »Mut! Nur Mut, mein Mädchen!«, sagte der Chauffeur und drückte mir herzlich die Hand.
    Er hatte Tränen in den Augen, und seine Rührung bewegte auch mich. Doch ich konnte nicht verweilen, denn eine Braut darf niemals auf der

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