Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur
jede Bedingung zu heiraten. Und nun zähle ich auf dich. Es ist deine Aufgabe, aus ihr eine Frau zu machen, die ihres Namens würdig ist. Bis zu ihrer Hochzeit im nächsten Jahr wirst du ihr zeigen, wie man einen Haushalt führt, kocht und die Kleidung in Ordnung hält. Sie wird lernen, auf ihren Mann zu hören und ihn zu achten. Ich will erhobenen Hauptes vor unsere Landsleute in Frankreich treten können. Ist sie erst einmal verheiratet, bin ich nicht mehr für sie verantwortlich, und ihr Ehemann wird diese Aufgabe übernehmen. Ich habe bereits viel zu viel für sie getan. Es ist wirklich sehr aufwändig und mühsam, eine Tochter zu haben.Wenn ich daran denke, dass ich noch eine zweite habe, auf die man bald wird achten müssen …«, schloss er seufzend.
Nachdem ich gehört hatte, was mir im nächsten Jahr bevorstand, floh ich in mein Zimmer und dachte über mein Schicksal nach. In den Augen meiner Eltern war ich ein Fluch, eine von Gott auferlegte Strafe – nichts weiter.
Im folgenden Jahr lernte ich, den Haushalt zu führen, indem ich den Putzfrauen zur Hand ging. Meine Mutter lehrte mich kochen. Stets mäkelte mein Vater an meinen Gerichten herum und schimpfte, ich sei zu nichts nutze. Er erklärte, dass mein Ehemann mich schon im ersten Jahr davonjagen würde, wenn ich mich nicht besserte.
Ich zählte die Tage bis zu meiner Hochzeit, als seien es die letzten meines Lebens. Ich verlor den Appetit und wurde immer magerer. Das verärgerte meine Mutter, denn sie glaubte, ich würde absichtlich nichts essen, damit mein zukünftiger Ehemann mich als schwächliche und hässliche Frau zurückwies. Also zwang sie mich zu essen.
In diesem Jahr erkrankte ich häufig und wurde schwach und anämisch. Obwohl ich schon vorher sehr dünn war, hatte ich nun noch einmal sechs Kilo abgenommen. Ich schlief nicht mehr und verbrachte meine Nächte damit, mir mein Leben mit diesem Unbekannten auszumalen. Der Gedanke, körperlichen Kontakt mit ihm zu haben, versetzte mich in Panik. Noch nie in meinem Leben war ich mit einem Jungen allein gewesen, außer mit meinen Brüdern. Nachdem meine Eltern mich gelehrt hatten, in jedem Jungen die Quelle möglicher Schande zu sehen, stießen sie mich nun in die Arme eines Fremden! Ich war verzweifelt.
Meine Mutter bereitete die Feier gemeinsam mit meinen Tanten vor. Sie wünschte sich eine pompöse Hochzeit, die der Familie Shariff würdig war. Die Gäste sollten so beeindruckt sein, dass alle noch lange von diesem Ereignis sprechen würden. Daher hatte meine Mutter prächtige Stoffe aus Saudi-Arabien bestellt, die eine namhafte Schneiderin nun zuschnitt.
Es ist bei uns Tradition, dass die Braut in mehreren Kleidern vor den Gästen erscheint. An der Zahl der kostbaren Kleider und ihrem sonstigen Putz können die Leute den Reichtum der Familie ablesen. Meine Mutter hatte mir zwölf Kleider schneidern lassen, eines schöner als das andere. Ich würde sie nacheinander tragen, um zuletzt im offiziellen Hochzeitskleid aufzutreten, das meine Mutter aus Italien hatte kommen lassen.
Das prachtvolle Kleid mit dem zugehörigen Schmuck wäre einer Prinzessin würdig gewesen, aber mir erschien es als die Aufmachung zu meinem eigenen feierlichen Begräbnis. Ich schloss die Augen und redete mir ein, dass alles nur ein Albtraum war, der bald vorüber sein würde. Doch der verhängnisvolle Tag rückte unerbittlich näher.
In unserem Land gilt die Regel: Je reicher und mächtiger eine Familie ist, desto aufwändiger muss die Hochzeit gefeiert werden. Meine Eltern waren stets sehr auf ihren Ruf bedacht und wollten ihre Gäste nun erst recht in Erstaunen versetzen.
Die Hochzeitsvorbereitungen erlebte ich in einem Zustand der Benommenheit, beinahe wie in Trance. Da ich noch mehr abgenommen hatte, mussten meine Kleider in allerletzter Minute enger genäht werden. Während die Frauen aufgeregt um mich herumschwirrten, ließ ich alles teilnahmslos mit mir geschehen.
Gemäß der muslimischen Tradition führten mich meine Tanten und Cousinen ins Hammam. Während dieses Geleits sangen sie alte Lieder und stießen die üblichen Freudenschreie aus. Je schriller diese Schreie, desto größer ist die Freude und desto gelungener die Zeremonie. Mir jedochgellten diese Schreie schmerzhaft in den Ohren, sie drückten nicht einen Funken Freude für mich aus.
Im Hammam, einem türkischen Bad, wird die Braut mit heißem Wasser gereinigt, das den Raum mit Dampf aufheizt wie eine Sauna.
Meine Tanten und Cousinen begriffen
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