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Der Schlittenmacher

Der Schlittenmacher

Titel: Der Schlittenmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Norman
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zuschnitt. In der nächsten Woche lernte ich, wie man eine Transportbox baut und Eisenkufen montiert. Danach bauten wir Schritt für Schritt einen kompletten zwei Meter langen Hundeschlitten einschließlich des Geschirrs für die Hunde. Ich beschäftigte mich mit Metall-Verbindungsstücken, Trägern und Querstücken, mit der Anwendung verschiedener Arten von Sandpapier, Leim und Leinöl und mit vielen anderen Dingen. Dann kam noch die Büroarbeit – Rechnungen, Geschäftsbriefe
und dergleichen. Ungefähr einen Monat nachdem ich mit der Lehre begonnen hatte, ließ mich mein Onkel ganz allein an einem Toboggan-Schlitten mit Transportbox arbeiten. Bestellt hatte ihn ein Mann in Heart’s Desire, Neufundland. »Ich habe ihm erst voriges Jahr einen Schlitten verkauft«, sagte mein Onkel. »Er erwartet natürlich wieder etwas Erstklassiges. Mein Ruf beruht auf der Qualität meiner Arbeit, Wyatt.« Um dem Schlitten meine gesamte Aufmerksamkeit zu widmen (das heißt, um zu verhindern, dass mir Donald dauernd irgendwelche Tipps gab), beschloss ich, vor allem nach dem Abendessen daran zu arbeiten, oft bis spät in die Nacht hinein. Tagsüber stand der Schlitten nicht in der Werkstatt, und ich achtete darauf, dass er immer von einer Abdeckplane verhüllt war. Es fiel meinem Onkel sicher nicht leicht, sich zurückzuhalten, aber es spricht für ihn, dass er den Wink verstand. Ich brauchte zwei Wochen – das heißt, vierzehn volle Tage, weil ich auch sonntags arbeitete. Am Montag um sieben Uhr enthüllte ich meinen Schlitten. Ich stand daneben, während mein Onkel ihn von oben bis unten inspizierte; er prüfte alle Verbindungen, strich mit den Händen über das Holz, suchte nach eventuellen Splittern oder rauen Stellen und neigte mein Werk, um sich zu vergewissern, wie gleichmäßig der Schellack aufgetragen war.
    »Gestern«, sagte er schließlich, »hab ich ein paar Kinder gesehen, die hinter der Kirche Schlitten fuhren. Auf dem Hügel ist der Schnee immer schön festgefahren. Ich geh jetzt mit diesem Schlitten rüber und probier ihn aus, was? Wenn er mich aushält – und ich bin ja praktisch ein Walross im Vergleich zu diesen Jungs –, dann sieht’s schon mal nicht schlecht aus. Aber wenn er bricht und ich durch die Luft fliege und mir den Schädel einschlage, musst du dich um Constance kümmern, verstanden?« »Verstanden«, sagte ich.

    »Ich habe keinen letzten Willen, kein Testament«, fuhr er fort, »abgesehen von dem, was ich mit meiner Frau im Bett besprochen hab, und das erzähle ich nicht weiter.«
    Ich wartete gut eineinhalb Stunden in der Werkstatt, rauchte Zigaretten und hörte Radio, und als mein Onkel endlich zurückkam, sagte er: »Er ist in Ordnung.« Wir machten uns gleich wieder an die Arbeit, um zwei Schlitten zu bauen, die eine Familie aus McLeod Settlement in Nova Scotia bestellt hatte. In ihrem Brief hatten sie erwähnt, die Schlitten seien für sieben Jahre alte Zwillingsschwestern, und sie baten Donald, sie irgendwie unterscheidbar zu gestalten, damit sich die beiden nicht ständig zankten. Sie schlugen vor, dass mein Onkel ein Brett an einem Schlitten schwarz und am anderen rot streichen könnte. Nachdem wir ungefähr eine Stunde gearbeitet hatten, schob mein Onkel ein Holzscheit in den Ofen. »Wyatt«, sagte er, »ich wollte dich etwas fragen.«
    »Ja, was denn, Onkel Donald?«
    »Als du aus Halifax weggegangen bist – wie war da so die Stimmung in der Stadt? Ich meine, wegen des Krieges. Deine Tante meint, dass ich mir zu viel Sorgen mache. Dabei weiß sie gar nicht, wie besorgt ich schon bin.«
    Ich sah mir einige der Schlagzeilen aus der Halifax Mail an, die mein Onkel über der Werkbank an die Wand geheftet hatte:
    KEINE FROHEN WEIHNACHTEN FÜR DEUTSCHE TRUPPEN.
    DAS BLATT WENDET SICH: HITLERS VORMARSCH GESTOPPT.
    SCHLACHT TOBT DIE GANZE NACHT: ALLIIERTE TRUPPEN KÄMPFEN UM IHR LEBEN.
    DEUTSCHES ›U-BOOT-WOLFSRUDEL‹ GREIFT KONVOI AN: ELF SCHIFFE VERLOREN.

    »Es gibt da ein Restaurant, Die grüne Laterne «, antwortete ich. »Die Leute nennen es Die grüne Latrine . Gleich daneben liegen auch ein paar Bordelle, und das Orpheum Theatre ist ganz in der Nähe. Es geht dort jeden Abend zu wie in einem Taubenschlag. Jede Menge Soldaten. Musik und Tanz. Was ich sagen wollte – es gibt da so einen Typ, er heißt H.B. Jefferson. Hast du schon mal von ihm gehört?«
    »Der Zeitungsmann«, sagte mein Onkel. »Er ist heute Zeitungszensor für die Kriegsberichterstattung.«
    »Ja, genau der. Seine

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