Der Schlittenmacher
Oktober um sieben Uhr früh kritisierte Donald meine Methode, ein Brett für einen Schlitten abzuschmirgeln (eine meiner besten Übungen), auf eine Weise, die mir zu viel war, und so fuhr ich drei Stunden früher als gewohnt zur Bäckerei, um meinen Kaffee zu trinken. Tilda war da, aber Hans nicht, und ich setzte mich zu ihr an einen Tisch beim Fenster. »Du sitzt hier allein und hast nicht einmal ein Buch da«, bemerkte ich.
»Hans ist oben und schreibt einen Brief an seinen betreuenden Professor an der Universität«, erklärte sie. »Immer wenn er den Brief fertig hat, zerreißt er ihn und fängt neu an. Er besucht im Moment keine Vorlesungen. Außerdem möchte er nächstes Semester aussetzen. Freistellung nennt sich das. Das Problem ist, dass er seinen großzügigen Onkel nicht verärgern will. Er muss also auch einen Brief nach Dänemark schreiben. Falls die Briefe überhaupt noch dort ankommen. Hans ist sich da nicht so sicher. Er hat seit Monaten keinen Brief mehr erhalten. «
»Und er kann seinem Professor auch nicht gut den wahren
Grund verraten, warum er nicht weitermachen will, stimmt’s?«, sagte ich. »Weil dieser Grund Tilda Hillyer heißt.«
»Stimmt«, gestand Tilda. »Das wäre ungünstig.«
»Nun, wenn es nicht so geht, wie er möchte, dann kannst du ihn ja immer noch in Halifax besuchen«, meinte ich.
»Du meinst, wenn es nicht so geht, wie wir möchten«, erwiderte Tilda. »Ich und Hans – so wie wir es uns vorstellen.«
»So habe ich es nicht gemeint«, sagte ich. »Das wollte ich damit nicht sagen.«
»Aber du solltest es so meinen«, erwiderte sie. »Mir zuliebe.«
»Trotzdem«, sagte ich. »Du könntest nach Halifax fahren.«
»Oder ich könnte nach Halifax ziehen«, fügte sie hinzu.
Dieser kleine Wortwechsel war natürlich weit von dem entfernt, was mir meine Tante geraten hatte – dass ich Tilda meine Gefühle gestehen solle. Ein etwas steifes Gespräch, ohne Kaffee und ohne Scone, das war mein Frühstück mit ihr. Aber als ich gehen wollte, sagte Tilda plötzlich: »Wyatt, setz dich bitte wieder hin, ja?« Ich setzte mich natürlich wieder hin, und sie nahm meine Hände in die ihren. »Ich muss dich etwas fragen. Bitte versuch deine Gefühle gegenüber Hans einen Moment zu vergessen – oder versuch wenigstens, meine Gefühle für ihn mit einzubeziehen. Ich meine, wenn du dir anhörst, was ich dir sagen will.«
»Na gut, Tilda«, antwortete ich. »Was möchtest du mich fragen? «
»Hast du gewusst, dass mein Vater die Scherben von seinen Schallplatten auf unserem Bett verstreut hat? Mein eigener Vater ist bei uns eingedrungen wie ein Einbrecher. Direkt über uns hier, wo wir jetzt sitzen. Es muss mein Dad gewesen sein. Niemand sonst würde diese Schallplatten anrühren. Ganz ehrlich – hast du gewusst, dass er das getan hat? Hans hat innen
an der Tür ein Extraschloss montiert, kannst du dir das vorstellen? «
»Tante Constance und ich, wir konnten die Schallplatten nirgends finden, Tilda«, sagte ich. »Aber ich habe nicht gewusst, was mit ihnen passiert ist. Und das ist die Wahrheit.«
»Ich glaube dir, Wyatt«, sagte sie.
»Ich weiß, dass Tante Constance dich hier besucht hat.«
»Mehr als einmal«, bestätigte Tilda. »Sie ist aber nicht gekommen, damit ich wieder nach Hause ziehe. Sie hat mir erzählt, dass sie sich Sorgen macht wegen Dad. Und Mom hat Cornelia gefragt, ob es ihr unangenehm ist, dass ich mit Hans hier über ihrer Bäckerei unverheiratet zusammenlebe.«
»Und was hat Cornelia gesagt?«
»Sie hat gesagt: ›Constance, ich habe mit Llewyn – Gott hab ihn selig – zwei Jahre zusammengelebt, bevor wir heirateten. Ich wäre eine Heuchlerin, wenn es mich jetzt auf einmal stören würde.‹«
»Typisch Cornelia«, meinte ich.
»Unverheiratet oder nicht«, fügte Tilda hinzu, »ihre Sandwiches hängen mir jedenfalls zum Hals heraus.«
»Gestern gab’s bei uns den Eintopf aus dem französischen Kochbuch«, berichtete ich. »Ich hab allein mit Tante Constance gegessen. Onkel Donald hat, wenn überhaupt, immer erst viel später Appetit.«
»Also, ich werde nicht zum Abendessen heimkommen, Wyatt«, betonte Tilda. »Aber ich will dir etwas anvertrauen, weil du ein Gentleman bist. Obwohl du in letzter Zeit nicht immer ein richtiger Gentleman warst, was?«
»In letzter Zeit würde ich mich nicht als Gentleman bezeichnen, nein.«
»Kann ich dir etwas zeigen?«, fragte sie.
»Okay.«
Tilda griff in ihre holländische Schultasche und zog ein paar
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