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Der Schlittenmacher

Der Schlittenmacher

Titel: Der Schlittenmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Norman
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Blätter heraus, die von einer Büroklammer zusammengehalten wurden. Sie legte die Blätter vor mir auf den Tisch. »Ich habe das geschrieben. Also, es ist von Hans – ich habe es nur aufgeschrieben. Ich bin zwar sicher nicht so gut wie Lenore Teachout, aber ich glaube, ich habe es ganz gut hingekriegt.«
    »Worum geht es denn?«
    »Es ist Hans’ Nachruf. Er hat eine Menge Fakten aufgezählt, und ich hab es ein bisschen ausgeschmückt. Hans hat das Original, und er schreibt auch einen Nachruf auf Deutsch. Für seine Eltern.«
    »Das hört sich irgendwie gruselig an, Tilda«, meinte ich. »Warum will Hans, dass du seinen Nachruf schreibst? Er ist doch erst zwanzig Jahre alt.«
    »Einundzwanzig«, verbesserte Tilda. »Und zu deiner Frage – vielleicht kann man es so sagen: Für Hans ist das Leben nichts Selbstverständliches. Das hat er aus der Vergangenheit gelernt. Kein Tag ist selbstverständlich. So denkt er jedenfalls. Und diese Einstellung kommt nicht von ungefähr, glaub mir. Wenn du diesen Nachruf liest, wirst du’s verstehen. Er hat gesagt, ich könnte ja noch Dinge hinzufügen, wenn wir einmal in einem gemeinsamen Haus leben und so. Im Laufe der Jahre.«
    »Vielleicht trinke ich jetzt doch einen Kaffee«, sagte ich.
    Ich schenkte mir eine Tasse aus der Kanne ein, die hinter der Theke auf einer Kochplatte stand. Dann setzte ich mich wieder Tilda gegenüber.
    »Wyatt«, begann sie. »Ich muss dich um einen Gefallen bitten. «
    »Es fällt dir normalerweise nicht leicht, um einen Gefallen zu bitten«, sagte ich. »So viel weiß ich noch über dich.«

    »Ich möchte, dass du diesen Nachruf meinem Vater zeigst.«
    »Warum denn das?«
    »Weil er ein bisschen übergeschnappt ist mit all den U-Booten und den Radiomeldungen, darum«, antwortete sie. »Du lebst doch bei ihnen, Wyatt. Tu nicht so, als wüsstest du nicht, was ich meine. Und wenn Hans Mohring – wenn Hans mein Mann wird, dann sollte Dad sich bemühen, ihn besser kennenzulernen. Ich denke, der Nachruf könnte helfen, dass Dad Hans als einen Menschen sieht, der’s nicht leicht gehabt hat. Und dass er akzeptieren kann, dass Hans mich liebt und ich ihn. Vielleicht sieht es ein bisschen lächerlich aus, wenn man einfach so verknallt ist – aber für uns ist es gar nicht lächerlich. Jedenfalls hoffe ich, dass dieser Nachruf, geschrieben in der Handschrift seiner Tochter, meinen Dad überzeugen kann, dass Hans nicht irgendein Deutscher ist. Verstehst du mich, Wyatt?«
    »Du siehst aus, als würdest du gleich weinen, Tilda«, sagte ich. »So früh am Morgen sollte man sich nicht so aufregen.«
    »Also, ich hab schon gestern Abend um acht mit dem Aufregen begonnen«, erwiderte sie. »Und heute reg ich mich noch mehr auf. Bitte gib diesen Nachruf meinem Vater, tust du das?«
    Und Marlais, ich habe diese Seiten wirklich zu Onkel Donald in die Werkstatt gebracht, und er las sie und heftete sie dann zwischen all den Zeitungsausschnitten an die Wand. Der Nachruf hing neben einem Bericht über das letzte Schiff, das von einem U-Boot versenkt worden war. Dann machte er damit weiter, Leinöl auf einen Schlitten aufzutragen. Er sagte kein einziges Wort über Hans Mohrings Leben. Was er sagte, war nur: »Das hat Tilda wirklich gut geschrieben, findest du nicht?« Später schlich ich mich in die Werkstatt und nahm den Nachruf mit.
    Diese Seiten, von Tilda mit der Hand geschrieben, bewahre ich seither auf.

MAN SOLLTE IMMER EIN BISSCHEN PLATZ FÜR EINEN EINKAUF LASSEN
    Am nächsten Morgen, dem 6. Oktober, ging ich nicht zur Arbeit. Ich fuhr um sieben Uhr zur Bäckerei, und da saß Tilda wieder. Und sie sah, ehrlich gesagt, nicht so hinreißend aus wie gewohnt, sondern völlig fertig. Sie trug einen grauen Fischerpullover, eine weite dunkle Hose und Galoschen. Es regnete in Strömen. Als ich an ihren Tisch am Fenster kam, sagte sie: »Hans hat seinem Nachruf etwas hinzugefügt.«
    Cornelia Tell stand hinter der Theke. Sie hatte das Radio eingeschaltet, aber durch das Unwetter kam fast nur Rauschen aus dem Lautsprecher, gelegentlich von Musik unterbrochen. Doch Cornelia machte sich nicht die Mühe, einen anderen Sender zu suchen. Es kam mir so vor, als hätte sie sich damit abgefunden, dass das Rauschen das eigentliche Programm sei und menschliche Stimmen oder Musik die Störung. Tilda und ich betrachteten sie einige Augenblicke.
    »Bist du nicht ein bisschen knauserig mit den Zuckerstreuseln auf diesen Cupcakes, Cornelia?«, meinte Tilda. Cornelia ignorierte die

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