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Der Schlittenmacher

Der Schlittenmacher

Titel: Der Schlittenmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Norman
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Schubladen an«, sagte sie. »Da geht gewaltig viel rein. Trotzdem will ich mir gut überlegen, was ich mitnehme. Wer sich gut vorbereitet, kann beruhigt auf die Reise gehen …«
    »… und wer angenehm reist, hat einen sorgenfreien Aufenthalt«, sprach ich den Satz zu Ende, den ich schon so oft von ihr gehört hatte.
    Ich küsste meine Tante auf die Stirn und setzte mich auf einen freien Stuhl. »Weißt du, immer wenn ich einen Koffer packe, denke ich an Meticulous Spelling, die früher in Upper Economy gelebt hat. Ihr Mädchenname war Meticulous Bartlett.
Sie heiratete George Spelling. Jedenfalls gab es da gewisse Widersprüche bei ihr, denn sie führte ihren Haushalt überhaupt nicht pedantisch und gewissenhaft, wie es ihr Name ›Meticulous‹ nahelegen würde, sondern so schlampig, wie wenn sich ein betrunkener Spatz ein Nest baut, und ihrem Nachnamen ›Spelling‹ machte sie auch nicht gerade Ehre, weil sie nämlich von Rechtschreibung keinen blassen Schimmer hatte. Sie kam manchmal vorbei und fragte, wie man dieses oder jenes Wort schreibt, wenn sie ihrer Tante Nadelle in Vancouver einen Brief schreiben wollte. Manche Leute können eben rechtschreiben, manche nicht. Meticulous Spelling konnte es eindeutig nicht. Und was das andere betrifft, dass sie es mit der Ordnung nicht so hatte – ich habe die Frau einmal gesehen, wie sie bei ihr zu Hause einen Koffer packte. Sie wollte nach Quebec, um sich die Sehenswürdigkeiten anzuschauen. Ich weiß nicht, warum sie sich überhaupt die Mühe gemacht hat, ihre Kleider zu bügeln. In dem Koffer sah es jedenfalls aus, als hätte jemand darin herumgewühlt.«
    »Oh, Tante Constance«, sagte ich lächelnd, »du bist echt unschlagbar. «
    »Ich hab’s einfach gern, wenn alles an seinem Platz ist.«
    Meine Tante konzentrierte sich darauf, welche Kleider sie einpacken sollte, welche Socken, welche Schuhe und so weiter. Sie füllte eine Schublade, dann packte sie alles wieder aus und begann von vorne. Als sie gerade einen Pullover zusammenlegte, sagte sie unvermittelt, ohne aufzublicken: »Donald ist in die Werkstatt übergesiedelt. Nach außen versuche ich mich zu beherrschen.«
    »Wie meinst du das – in die Werkstatt übergesiedelt?«
    »Er hat sich ein Bett gebaut und Bettwäsche mitgenommen. Er hat ja auch den Holzofen zum Heizen.«

    »Jetzt kannst du wenigstens das Radio ausschalten, wenn du willst, Tante Constance.«
    »Ich finde diese Bemerkung überhaupt nicht passend.«
    »Tut mir leid«, sagte ich.
    »Entschuldigung nur halb angenommen«, erwiderte sie. »Ihr zwei seid zwar gerade ein bisschen über Kreuz – aber vergiss nicht, dass er dir einen bezahlten Job gegeben hat, Wyatt.«
    »Er ist in letzter Zeit nicht er selbst, du sagst es ja auch.«
    »Donald hat Leonard Marquette und ein paar andere Hummerfischer gefragt, ob er mit ihren Trawlern versuchen kann, ein U-Boot zu rammen.«
    »Wo soll das passieren?«
    »Genau – Leonard hat zu Donald gesagt, es gibt keine U-Boote in der Fundy-Bucht. Und Donald soll darauf geantwortet haben: ›Dort, wo man keine U-Boote sieht, sind vielleicht die allermeisten.‹«
    »Vorgestern in der Werkstatt hat er mir ins Gesicht gesagt, ich sei ein Feigling, weil ich mich noch nicht freiwillig zur Royal Canadian Navy gemeldet habe. Ich sagte ihm nicht, dass ich sogar schon überlegt habe, ob ich es tun sollte. Das hätte für ihn auch nichts geändert.«
    »Du hattest wirklich daran gedacht?«
    »Ja.«
    »Wyatt, melde dich bitte nicht, nur um zu beweisen, dass du kein Feigling bist. Melde dich, wenn es deiner tiefen Überzeugung entspricht. Der Krieg ist so alt wie das Alte Testament. Aber was in diesem Krieg passiert, das ist ein Wahnsinn, wie ihn die Welt wahrscheinlich noch nicht oft gesehen hat. Soweit ich weiß, hast du nie einen jüdischen Freund gehabt, oder doch? Vielleicht in Halifax – einen jüdischen Jungen, den du nie erwähnt hast. Egal, jedenfalls hat Reverend Witt gemeint,
wenn es so etwas wie die Hölle der christlichen Religion hier auf der Erde gibt, dann ist das jüdische Volk drüben in Europa gerade mittendrin. Sie könnten ein bisschen Hilfe gut gebrauchen, nicht wahr? Zoe Fielding hat in einem Brief von einer Wochenschau berichtet, bei der es ihr den Magen umgedreht hat. Da hat man gesehen, was die Nazis den Juden antun. Und dass es ihr den Magen umgedreht hat, das hat sie wörtlich gemeint – direkt auf ihrem Platz im Kino. Es gibt wirklich gute Gründe, sich freiwillig zu melden. Diese U-Boote

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