Der Schlittenmacher
tun? Du gehst in die Bäckerei – und was dann?«
»Dann holen wir Onkel Donald und fahren halt nach Hause.«
»Donald wird die Zigarette nicht fertig rauchen – wir haben also nicht viel Zeit, drum hör mir bitte gut zu.«
»Okay.«
»Erstens, mir ist dein ungehöriges Benehmen aufgefallen, Wyatt. Ich meine, beim Essen und später, als ich mal kurz gelauscht hab bei eurem Spiel. Und Donald und ich haben auch bemerkt, dass Tilda und dieser deutsche Junge einander ziemlich toll finden. Weißt du, Hans Mohring ist es, glaub ich, ziemlich ernst mit ihr.«
»Das weiß ich.«
»Wir müssen uns da raushalten, Donald und ich. Tilda muss ihre Erfahrungen als junge Frau machen können, nicht wahr? Andererseits … weißt du, ich habe ja keine besonders tolle Menschenkenntnis. Aber wenn du und Tilda im selben Zimmer seid, dann fängst du an zu strahlen, das solltest du mal sehen. Du hast sicher auch schon öfter dieses Sprichwort gehört: ›Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt‹ . Nun, es gibt vielleicht Momente, wo man’s gebrauchen kann.«
»Also, du meinst, dass ich in Tilda verliebt bin, Tante Constance? «
»Ja, das meine ich. Wie würdest du es denn bezeichnen, Wyatt?«
»Genauso.«
»Wyatt, ich bin kein großer Ratgeber, aber ich sag’s trotzdem: Je länger Hans Mohring über der Bäckerei wohnt, umso eher solltest du Tilda sagen, was du empfindest. Gib dir selbst eine Chance zu kämpfen, junger Mann!«
»Da wäre noch etwas … Steht in der Bibel oder im Gesetz von Nova Scotia irgendwas dazu, wie das ist – zwischen Cousin und Cousine?«
»Tilda ist ja nicht wirklich deine Cousine, weil wir sie ja adoptiert haben. Ich habe auch mit Reverend Witt darüber gesprochen, und er hat mir recht geben müssen, wenn auch ungern. Er hat gesagt, dass sogar die Kirche eine solche Verbindung anerkennt. Außerdem, selbst wenn Donald und ich aus der Mongolei wären, würde uns Tilda nicht weniger ähnlich sehen, als sie’s tut. Das sieht doch jeder, dass wir äußerlich um Welten auseinander sind.«
»Du hast dir also schon einige Gedanken gemacht, Tante Constance.«
»Was ich meine, ist, wenn du etwas für Tilda empfindest – ethisch gäbe es keine Hindernisse. Wir haben bis jetzt nie einen Grund gesehen, mit dir darüber zu reden, Wyatt, doch die Dinge haben sich ein bisschen geändert.«
»Also, danke, dass ihr rausgekommen seid. Eine richtige Rettungsmission. «
»Bei Tilda könntest du vielleicht mit ein paar Dingen nachhelfen, die manche für Aberglauben halten – aber manche glauben an so etwas. Falls es nicht funktioniert, passiert gar nichts. Falls doch, dann ändert sich das Leben zum Besseren.«
»Was meinst du genau?«
»Nun, ganz einfache Sachen – du kannst zum Beispiel deine Bettpfosten nach dem Mädchen benennen, das du liebst.«
»Ich soll meine Bettpfosten Tilda Hillyer nennen? Ist es das, was du vorschlägst?«
»Ich meine, dass es nicht schaden kann.«
Als ich zum Kai hinübersah, machte mein Onkel gerade seine Zigarette aus, indem er sie einfach hochhielt und in der nebelfeuchten Luft wedelte. Er warf den Stummel auf den Boden, nicht ins Meer. Mein Onkel war sonst nicht abergläubisch. Aber ich habe ihn öfters sagen gehört, dass man das Meer nie beschmutzen solle, weil es sich sonst eines Tages bitter rächen würde.
VON TILDA MIT DER HAND GESCHRIEBEN
In diesem Herbst 1942 hatte ich immer mehr das ungute Gefühl, dass das Leben irgendwie aus dem Gleichgewicht war. Mein Onkel wurde zunehmend gereizter, und es kam während der Arbeit nicht selten zu kleinen oder gar nicht so kleinen Reibereien zwischen uns. In den meisten Fällen hatte ich keine Ahnung, was ihn aufgeregt hatte – die Schlitten wurden weiterhin fertig, die Termine wurden eingehalten und der Papierkram erledigt. Aber jetzt gab es eine gewisse Distanz zwischen mir und Onkel Donald, die vorher nicht da gewesen war. Ich weiß nicht, wie ich es am besten sagen soll, aber es kam mir so vor, als stehe ihm das Radio näher als die Menschen um ihn herum. Meine Tante und ich fanden es zum Beispiel ziemlich beunruhigend, dass Donald in manchen Wochen zwei-, drei- oder gar viermal hintereinander nicht mit uns zu Abend aß. An manchen Tagen kam er so spät ins Haus, dass Constance schon schlief. Er machte sich auch nicht die Mühe, sich das Essen aufzuwärmen. An manchen Abenden hörte ich das Radio und ging zu ihm hinüber. Er hatte das Ohr an den Lautsprecher gedrückt wie ein Tresorknacker an ein Schloss – nur
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