Der Schlittenmacher
mir auf, dass der Anwerbungsoffizier immer wieder herübersah und den Kopf schüttelte – offenbar spöttisch. Du kannst dir ungefähr vorstellen, wie ich mich fühlte.
An der Wand hing ein perfekt gebauter Schlitten mit einer Dartscheibe in der Mitte. Nach einer Weile setzte sich eine sehr hübsche Frau mit dunkelrotem Haar im Mantel und mit Stiefeln bis zu den Knien neben mich und sprach mich an. »Ich hab dich noch nie an der Uni gesehen. Studierst du auch?« Ich sagte Nein, und sie stellte sich vor. »Ich heiße Mary Conklin und komme aus Dublin. Ich studiere Kunstgeschichte. Spielst du Darts? Ich habe fünf Brüder, ich bin mit Darts aufgewachsen, also muss ich dich warnen, dass dein Stolz leiden könnte.«
Ich stellte mich vor. Dann holten wir uns die Pfeile von dem Schlitten und traten zurück. »Du fängst an«, meinte sie. Also warf ich den ersten Pfeil auf die Scheibe. Ich fühlte mich schon ein wenig wie auf einem Navy-Schiff bei stürmischer See nach dem vielen Whisky, darum sah ich den Anwerbungsoffizier überhaupt nicht, als er, unterwegs zur Jukebox, an der Dartscheibe vorbeiging. Mein Pfeil traf ihn am Oberarm. Er verzog das Gesicht, und ich erwartete das Schlimmste. »Du lieber Himmel, da hast du voll ins Schwarze getroffen – aber anders, als du wolltest«, bemerkte Mary Conklin. Doch der Rekrutierer grinste nur, zog den Pfeil heraus, und ein Blutfleck breitete sich auf seiner Jacke aus. »Wir sehen uns am fünfzehnten Januar, Hillyer«, sagte er. Seine Kumpel brachen in schallendes Gelächter aus. Er ging weiter zur Jukebox und studierte die Liste der Songs. »Das war das kürzeste Dart-Match, das ich je gespielt habe«, meinte Mary Conklin, dann verließ sie mit ihren Freunden das Pub.
Gegen elf Uhr – vielleicht war es auch schon später – zahlte ich und ging in die Stadt hinaus. Ich wankte die Straße hinunter, und das erste Hotel, das mir unterkam, war das Essex House an der Ecke Bishop und Lower Water Street, wo ich für die Nacht bezahlte und es irgendwie die Treppe hinauf zu meinem Zimmer, Nummer 403, schaffte.
Am nächsten Morgen hörte ich die klagenden Rufe der Dreizehenmöwen und der anderen Möwen so laut und so nahe beim Fenster, dass ich mir dachte, sie müssten eigentlich für das Zimmer mitzahlen. Es war kalt, und es regnete in Strömen, und ich hatte das Fenster offen gelassen. Das Zierdeckchen auf der Kommode war völlig durchnässt, und der gläserne Aschenbecher hatte sich mit Wasser gefüllt. Ich hörte die Ladekräne unten an den Docks. Als ich mir am Waschbecken das Gesicht mit kaltem Wasser wusch, fiel mir plötzlich ein, dass ich mich zur RCN gemeldet hatte, und ich fühlte mich weder gut deswegen noch bereute ich es. Da war auch kein Gefühl, das Richtige zu tun oder ein Patriot zu sein, und ich konnte auch nicht sagen, dass ich der Aufgabe entgegenfieberte. Doch ich musste an die mahnenden Worte meiner Tante denken: »Gleichgültigkeit ist eine Sünde.« Wenn ich mich jetzt hingesetzt und die Fragen niedergeschrieben hätte, die mir durch den Kopf gingen, so wären zum Beispiel die folgenden dabei gewesen: Habe ich mich gemeldet, um Deutsche zu töten und einfach meine Pflicht zu tun ? Habe ich mich gemeldet, weil ich ein Feigling wäre, wenn ich’s nicht täte ? Trotz der vielen Radioberichte über den Krieg hatte ich keinen blassen Schimmer, wie es in einer Schlacht wirklich zuging. Musste man nicht damit rechnen, dass ein U-Boot mein Schiff treffen würde? Und dass mein Name in einem Zeitungsartikel neben all den anderen erscheinen würde, die vermisst wurden, mit einer großen Schlagzeile, wie sie die Wände in der Werkstatt meines Onkels zierten? Vielleicht war meine Einstellung nicht anders als die von vielen anderen jungen Leuten im Land, die auf ihren Einsatz warteten. Man will, dass es endlich losgeht – und hat gleichzeitig eine Heidenangst.
Als ich an diesem Morgen mit einem Mordskater den ganzen Weg zu einem Café in der Granville Street zu Fuß gelaufen
war, um einen Kaffee zu trinken, fiel mir erst ein, dass ich ein Zimmer im Baptist Spa hatte, im Voraus bezahlt. Und auf dem Bett würde immer noch mein Koffer liegen.
An diesem Nachmittag im Bus nach Great Village war ich so aufgewühlt, dass ich zweimal den Platz wechselte. Ich sagte mir, ich hätte meine Französischkenntnisse anwenden sollen, als Constance wegfuhr, um ihr Bon voyage zu wünschen (viel mehr konnte ich ohnehin nicht). Ich hätte länger im Hafen warten und zusehen sollen, wie
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