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Der Schlittenmacher

Der Schlittenmacher

Titel: Der Schlittenmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Norman
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ganz ungefährlich, mit den U-Booten und allem. Wolltest du das fragen?«

    »Ja.«
    Constance öffnete ihre Handtasche und sah auf ihr halbes Sandwich hinunter. Schließlich verdrückte sie es, als wäre sie am Verhungern. Ja, sie tat etwas, was ich noch nie bei ihr gesehen hatte – sie sprach mit vollem Mund: »… ich hab in der Werkstatt geschlafen.«
    »Das hab ich jetzt nicht ganz verstanden«, sagte ich.
    Ich wartete, bis sie ihr Sandwich aufgegessen hatte. »Ich habe in der Werkstatt geschlafen«, sagte sie noch einmal. »Ich hätte Donald ja erst wieder nach der Taufe gesehen, also ging ich zu ihm rüber. In einer Ehe muss man sich auf verschiedene Situationen einstellen können, weißt du. Ich hab mich eben auf die Werkstatt eingestellt. Und wir haben geredet, als Mann und Frau. Obwohl es wirklich ungemütlich ist da draußen. Allein diese Zeitungsschlagzeilen sind nicht sehr angenehm. Eins muss man ihm lassen – er hat wirklich versucht, mir die Reise auszureden. Aber ich hab zu ihm gesagt, es ist eine Taufe. Es ist Zoes Enkelkind, und Zoe ist meine älteste Freundin. Freundschaft ist nichts Selbstverständliches, Wyatt, man muss sie sich immer wieder verdienen. Wie lange bin ich schon mit Zoe Fielding befreundet – seit wir fünf Jahre alt waren! Daran habe ich Donald erinnert. Wir haben Tee getrunken in der Werkstatt. Das Radio hab ich ausgeschaltet. ›Ich werde die Taufe sicher nicht verpassen‹, sagte ich klipp und klar. Und da hat Donald Kraftausdrücke verwendet, die mir nicht gefallen. Aber er hat nur seine Gefühle ausgedrückt, und das akzeptiere ich.«
    »Und was ist dann passiert?«
    »Mein Mann und ich, wir haben einen Waffenstillstand geschlossen, und wir haben beide nicht geschlafen.«
    »Du hast letzte Nacht überhaupt nicht geschlafen?«

    »Obwohl mir Donald die Pritsche angeboten hat. Doch jetzt werde ich wohl bald ein Nickerchen brauchen.«
    »In letzter Zeit schlafen alle schlecht – zumindest die, die mir am wichtigsten sind.«
    »Irgendwo in Tildas Buch steht: ›Bitte, schmeichle oder dräng dem anderen deine Meinung auf, wenn du musst, aber das heißt noch nicht, dass du ihn damit überzeugst.‹ Donald hat es bei mir versucht und es nicht geschafft. Die Taufe hat gewonnen, so einfach ist das. Ich habe oft zu Tilda gesagt, diese Weisheiten in dem Buch können einem nicht sagen, was das Leben bringen wird, allerdings fassen sie oft recht gut zusammen, was einem passiert ist.«
    »Ich habe dieses Buch noch nie aufgeschlagen. Es liegt neben Tildas Bett.«
    »Ihrem ehemaligen Bett, nicht?«
    Wir schwiegen eine Weile, dann sagte Constance: »Mein Mann hat mich gefragt, warum ich nicht das erste Stück komplett mit dem Bus fahre. Dann bräuchte ich die Fähre nur noch, um hinüber nach Neufundland zu kommen. Aber soll ich wirklich die ganze Strecke nach Sydney Mines auf Cape Breton auf diesen Straßen fahren? In meinem Alter, mit meinen morschen Knochen?«
    »Dass du in die Werkstatt gegangen bist – was willst du mir damit sagen? Dass es da noch etwas gibt, was nicht selbstverständlich ist, außer der Freundschaft?«
    »Mit der Ehe ist es genauso. Stimmt.«
    »Nach siebenunddreißig Jahren ist es immer noch …«
    »Es tut weh, ja, aber auch nach so vielen Jahren ist es nichts, was man sicher hat.«
    Meine Tante schloss die Augen. Doch sie schlief nicht – offenbar wollte sie einfach mit geschlossenen Augen reden.
»Greif mal in meine Handtasche, Wyatt. Ich erlaube es dir. Da liegt ein zusammengefaltetes Blatt Papier.«
    Ich fand das Blatt und las, was darauf stand – ein Gedicht, fein säuberlich mit Tinte niedergeschrieben:
    CASABIANCA
    Liebe ist der Junge auf dem brennenden Deck, der tapfer seinen Vers aufsagt: »Der Junge stand auf dem brennenden Deck.« Liebe ist der Sohn, der stockend vorträgt, während das brennende Schiff hilflos untergeht.

    Liebe ist der hartnäckige Junge, das Schiff, sogar die schwimmenden Matrosen, die auch gern auf einer Schulbühne stünden oder gern einen Grund hätten, um an Deck zu bleiben. Und Liebe ist der brennende Junge.
    Nach ein paar Minuten öffnete meine Tante die Augen. »Die Bibliothekarin, Mrs. Oleander, hat Tilda dieses Gedicht gezeigt. Tilda hat es dann für mich aufgeschrieben. Was Mrs. Oleander so bemerkenswert fand – und ich übrigens auch –, ist, dass es eine Frau geschrieben hat, die einen Teil ihrer Kindheit in Great Village verbracht hat. Praktisch eine Nachbarin! Dieses Gedicht wurde sogar veröffentlicht, in der

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