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Der Schlittenmacher

Der Schlittenmacher

Titel: Der Schlittenmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Norman
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hoben. Ich stieg ins Führerhaus, mein Onkel ebenso. Wir fuhren, ohne ein Wort zu wechseln, direkt zum Hafen von Parrsboro.
    »Wir nehmen Leonard Marquettes Boot«, sagte Donald, als wir zum Kai kamen. »Er wird nichts dagegen haben. Absolut nichts.«
    Jetzt begriff ich, dass mein Onkel vorhatte, Hans Mohring zu versenken. Ich nahm an, er wollte mit dem Schlitten im Boot hinausfahren und ihn, sobald wir weit genug draußen waren, ins Meer gleiten lassen. Doch mein Onkel hatte einen anderen Plan; er bestand darauf, dass wir den Schlitten über die Leiter am Kai ins Wasser ließen. Dann schnitt er mit einem Klappmesser einen Rettungsring von seiner weißen Leine und befestigte den Schlitten mit dieser Leine am Boot. Ich stieg ins Boot
und ging ans Heck. Der Schlitten schaukelte sanft auf dem Wasser und schlug gegen die verkrusteten Holzpfähle. Mein Onkel ging zum Ruderhaus, ließ den Motor an, schaltete die Positionslichter ein und lenkte das Boot langsam durch den Nebel und die Dunkelheit in das Minas Basin hinaus.
    Ich glaube, es verging eine halbe Stunde, bevor ich zum Ruderhaus ging. »Wir sind fast am Cape Split«, sagte mein Onkel. »Noch fünf Minuten, dann stelle ich den Motor ab, gehe aber nicht vor Anker. Und wir tun, was getan werden muss.«
    »Was glaubst du denn, Onkel Donald?«, fragte ich. »Dass Tilda denkt, Hans wäre beim Schwimmen ertrunken?«
    »Nein, ich werde mich stellen und alles gestehen. Doch zuerst fühle ich mich verpflichtet, diesen deutschen Kerl auf den Grund hinunterzuschicken.«
    »Der deutsche Kerl, den du gerade ermordet hast, ist Tildas Ehemann. Wem gegenüber bist du verpflichtet?«
    »Ist Hans Mohring plötzlich dein bester Freund? Kotz über die Reling, Wyatt, wenn es dich so anwidert.«
    Der Leuchtturm von Cape Split ließ seinen Lichtstrahl schweifen, doch er reichte nicht ganz bis zu unserem Boot. Ungefähr fünfzig Meter entfernt sah ich eine Schar schlafender Enten. Das Nebelhorn des Leuchtturms funktionierte so, wie es sollte. Unter anderen Umständen hätte man sich hier draußen auf dem Meer ruhig und friedlich fühlen können. Man hätte vielleicht ein paar Stunden geschlafen und dann die Hummerfallen oder die Fischernetze ausgelegt, und wenn die Nacht zu Ende ging, hätte man sich davon überraschen lassen, in welchen Farben das Licht der Morgendämmerung am Horizont auftauchte. Es wäre ein normaler Tag in diesem Teil der Welt gewesen, man hätte über Funk mit seiner Frau geplaudert, vorausgesetzt, es gab ein Funkgerät zu Hause, was in Parrsboro
und anderen Küstenorten der Umgebung recht geläufig war. Man wurde nicht von Nachrichten vom Krieg verfolgt, die einzigen Meldungen waren Dinge wie »… sieh zu, dass du’s bis zum Abendessen schaffst, weil heute Abend die Feier zu Emmeline Bellingers erstem Geburtstag ist.«
    »Tun wir das nicht, Onkel Donald«, sagte ich. »Was sind wir denn? Bringen wir ihn zurück. Bringen wir ihn heim.«
    »Wir haben nicht genug Sprit, um es bis rüber nach Deutschland zu schaffen, Neffe«, erwiderte er mit einem bitteren Scherz. »Außerdem, denk an die vielen U-Boote da draußen. Nein Sir, ich fürchte, Herr Mohring kriegt ein nasses Grab hier in der Gegend.« Er blickte zurück zu der Fracht, die wir im Schlepptau hatten. »… und dann geh ich ins Gefängnis für den Rest meines Lebens.«
    Draußen in der Bay of Fundy stellte er den Motor ab. Ich sah Nebel vor unseren Positionslichtern wirbeln, doch ansonsten – nichts. »Hol eine Taschenlampe aus dem Regal dort drüben«, sagte mein Onkel. Ich fand die Lampe und folgte ihm vom Ruderhaus nach hinten ans Heck. »Leuchte hin, damit ich die Leine finde.« Er klappte sein Messer auf, schnitt die Leine durch, und wir sahen zu, wie der Schlitten davontrieb. »Hier draußen trägt es ihn sicher weit hinaus aus der Bucht. Es kann aber auch jederzeit sein, dass er sinkt. Jedenfalls haben wir gerade genug Benzin an Bord, um wieder nach Hause zu kommen.«
    »Holen wir ihn mit dem Haken zurück«, sagte ich. »Onkel Donald – was sind wir denn?«
    »Ich könnte es nicht ertragen, dass meine Tochter an seinem Grab weint.«
    Mein Onkel ging zurück zum Ruderhaus. Ich stand die ganze Zeit am Bug, während wir nach Parrsboro zurückkehrten.
    Tilda hatte meinen Wagen vor dem Haus abgestellt. Kein
einziges Licht brannte. Als mein Onkel und ich ins Esszimmer traten, saß Tilda am Tisch. Eine brennende Kerze stand in einem Messing-Kerzenhalter. Tilda trug ein schwarzes Kleid. Auf dem Grammofon

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