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Der Schlittenmacher

Der Schlittenmacher

Titel: Der Schlittenmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Norman
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Hans hatte sich nicht nach meinem Onkel umgedreht, er lächelte und begann seinen Mantel aufzuknöpfen, zweifellos um die Grammofonplatten herauszuholen. In diesem Moment schlug mein Onkel mit einer Schlittenkufe zu und traf Hans mitten auf den Kopf. Es war ein furchtbar dumpfes Geräusch, wie ich es noch nie gehört hatte.
    Der eine Schlag war genug. Hans brach auf der Stelle zusammen. Er hatte eine tiefe klaffende Wunde, das Blut vermischte sich mit dem Regen in seinem Haar, und wie mein Onkel so dastand, ganz gebannt von dem, was er selbst getan hatte, schlug ich ihm mit der Faust gegen die Stirn. Als ich noch einmal ausholte und ihn beim linken Auge traf, ließ er endlich die Kufe fallen. Ich hob sie auf und schlug sie meinem Onkel gegen die Knie, und er wankte, fiel aber nicht. Er stolperte ein paar Schritte zurück, kaum mehr fähig, das Gleichgewicht zu halten. »Ich wollte es nicht von hinten tun, das wollte ich nicht«, sagte er.
    »Du wolltest ihm ins Gesicht sehen, ist es das, was du wolltest, Onkel Donald? Was hat dir Hans Mohring getan?«
    Ich wankte die Verandastufen hinunter. Dann übergab ich mich und ließ die Kufe fallen. Weder mein Onkel noch ich hoben sie wieder auf. Ich lehnte mich gegen die Hauswand und kotzte mir die Seele aus dem Leib, und ich konnte nur eines denken: Tilda hätte das sehen können …
    Ich ging zurück auf die Veranda. Hans lag auf dem Rücken, sein Gesicht ganz bleich im Licht der Verandalampe. Er stöhnte und röchelte, Blut schäumte auf seiner Zunge und lief ihm über das Kinn, sein rechter Arm zuckte, sein Mund ging auf und mit einem schmatzenden Geräusch wieder zu, zweimal, dreimal, so als würde er versuchen, Regentropfen aufzufangen. Mein Onkel griff in seine Gesäßtasche und zog einen Revolver aus dem
Ersten Weltkrieg heraus. Er presste Hans den Lauf an die Brust und sagte: »… sei seiner Seele gnädig«, dann drückte er ab. Der Schuss wurde von Hans’ Mantel und den Grammofonplatten gedämpft. Ein Ruck ging durch Hans hindurch, sein Rücken krümmte sich, dann sackte er auf die Veranda zurück – und auch ich, der ich noch nie einen Toten gesehen hatte, außer im Sarg, wusste, dass Hans Mohring tot war.
    Mein Onkel warf den Revolver auf den Boden. Er schlug mir mit der flachen Hand hart ins Gesicht und sagte: »Reiß dich zusammen, Neffe!«
    Alles schien wie in einem Traum abzulaufen, in dem Dinge passieren können, die gegen jede Vernunft sind, und in dem man etwas erlebt und gleichzeitig von ferne zusieht. »Hol eine Plane aus der Werkstatt, Neffe, damit wir ihn einwickeln können«, forderte mich Donald auf.
    Und ich tat, was er verlangte, ich lief in die Werkstatt, griff mir eine zusammengerollte Plane aus der Ecke und trug sie auf der Schulter zur Veranda. Mein Onkel nahm sie mir ab und rollte sie im Esszimmer aus. »Jetzt legen wir ihn genau in die Mitte«, sagte er.
    Er fasste Hans unter den Schultern, ich ihn an den Knöcheln, und so schleppten wir ihn ins Esszimmer und legten ihn auf die Plane. Ich beugte mich hinab, fasste unter den Mantel und nahm die Grammofonplatten heraus. Ich legte das Paket auf einen Stuhl, dann wickelten wir Hans in die Plane. Mein Onkel zog das geblümte Tischtuch herunter und drehte es zu einer Art Seil zusammen, mit dem er die Plane oben zusammenband. Dann zog er seinen Gürtel aus der Hose und band ihn um das untere Ende der Plane. Ich konnte noch die Sohlen von Hans’ Schuhen sehen.
    »Ich fahr den Wagen vor«, sagte mein Onkel. Ich wusste
nicht genau, was er vorhatte. »Der Regen wird die Veranda sauberwaschen, aber das Blut im Haus solltest du mit einem Lappen wegwischen.«
    Ich holte den Feudel und einen Eimer aus der Vorratskammer, füllte den Eimer mit Wasser und gab etwas flüssige Seife dazu. Dann wischte ich das Blut weg, soweit ich es in dem schwachen Licht erkennen konnte. Es ging alles so schnell, dass ich kaum zum Nachdenken kam. Ich leerte den Eimer aus, wusch den Lappen in der Küchenspüle aus und stellte alles zurück in die Vorratskammer. Draußen hörte ich schon den Wagen meines Onkels. Er hatte ihn direkt vors Haus gefahren.
    Mein Onkel stieg aus und ging noch einmal in die Werkstatt. Er kam mit einem Toboggan-Schlitten ohne Kufen zurück und stellte ihn auf die Veranda. »Legen wir ihn drauf«, sagte er. Wir trugen Hans Mohring aus dem Haus und legten ihn auf den Schlitten. Mein Onkel holte ein Seil aus seinem Pick-up, und wir banden den Toten an den Schlitten, den wir dann auf die Ladefläche

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