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Der Schlittenmacher

Der Schlittenmacher

Titel: Der Schlittenmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Norman
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durchzusehen. Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie den Mord an Hans Mohring gestehen. Ich möchte Sie dennoch für ein besseres Verständnis des
Geschehenen fragen: Was hat Sie zu dieser abscheulichen Tat getrieben?«
    Doch bevor mein Onkel antworten konnte, stand Tilda auf und trug – unter den Blicken aller Anwesenden – das Wörterbuch an seinen Platz zurück. Dann verließ sie die Bibliothek.
    »An diesem Tag«, begann mein Onkel, »an dem Tag, als es passierte, da gab es zwei Dinge, die mir schwer zu schaffen machten. Das Erste war das Rauschen aus dem Radio. Und dann kam der Anruf von Secretary Macdonald – er hat mich persönlich zu Hause angerufen. Diese zwei Dinge.«
    »Der Vollständigkeit halber, Mr. Hillyer«, sagte der Friedensrichter, »müssen wir erwähnen, warum der Marineminister Sie angerufen hat. Wenn Sie es uns bitte schildern wollen.«
    »Nun, Sir, gut. Also: Die Fähre Caribou war in dieser Nacht wie immer auf ihrer Strecke zwischen Port aux Basques, Neufundland, und North Sydney, Nova Scotia, unterwegs.«
    »Das war in der Nacht vom 13. auf den 14. Oktober.«
    »Vom 13. auf den 14. Oktober, ja, Sir.«
    »Fahren Sie fort.«
    »Es passierte gegen … ich sehe, Sie haben die Zeitungsberichte auf Ihrem Tisch liegen. Es passierte gegen 3:45 Uhr, die Caribou fuhr ohne Licht, wie alle Schiffe, als sie von einem Torpedo getroffen wurde. Meine Frau Constance Bates-Hillyer war zu Besuch bei ihrer Freundin Zoe Fielding gewesen. Die Familie ihrer Freundin feierte die Taufe ihres Enkelkindes, und Constance hatte versprochen zu kommen. Sie machte Urlaub, so hat sie es ausgedrückt. Das beschreibt die Umstände. Und meine Frau war ein Opfer dieses Angriffs. Constance Bates-Hillyer … sie war vielleicht sofort tot, aber sie wurde nicht aus dem Meer geborgen, Gott sei ihrer Seele gnädig.«
    »Lassen Sie sich ruhig Zeit, Mr. Hillyer.«

    »Es war nicht so sehr der Telefonanruf als solcher. Es war vor allem das, was man mir über den Schrankkoffer meiner Frau sagte.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Marineminister Macdonald teilte mir mit, man habe ihren Koffer identifiziert. Meine Frau hatte ihren Namen und ihre Adresse ins Innenfutter eingenäht, wie es viele machen, nicht wahr? Jedenfalls hat Secretary Macdonald gesagt: ›Sie wurde noch nicht gefunden, aber ihr Koffer wurde geborgen‹, genau so hat er es ausgedrückt.«
    Ich saß auf meinem Sessel in der ersten Reihe und schloss die Augen, während ich an den großen schwarzen HARTMANN-Schrankkoffer meiner Tante dachte, mit seinen kleinen Messingnieten an den Nähten, den beiden schwarzen Scharnieren hinten, den Messingleisten und dem Messingschloss. Sie hatte den Koffer in Truro gekauft, und als er mit dem Bus geliefert wurde, brachte ihn Donald nach Hause und stellte ihn auf den Esszimmertisch. Donald, Tilda und ich waren dabei, als Tante Constance ihn zum ersten Mal öffnete und uns stolz die drei Schubladen und die fünf hölzernen Kleiderbügel präsentierte. »Ich habe schon so viele Koffer gesehen«, meinte sie, »aber der hier hat sofort zu mir gesagt: ›Nimm mich mit nach Neufundland! ‹«
    »… und was war das mit dem Rauschen aus dem Radio?«, wandte der Friedensrichter ein. »Sie haben gemeint, das hätte auch eine Rolle gespielt. Übrigens, Miss Teachout, haben Sie alles mitbekommen?«
    Ich vergaß zu erwähnen, dass Lenore Teachout als Stenografin anwesend war. »Ja«, antwortete sie, »ich habe zwei Monate am Gericht in Halifax gearbeitet, wie Sie vielleicht wissen. Ich bin gut ausgebildet.«

    »Fahren Sie fort, Mr. Hillyer.«
    »Wir hatten das Grundig-Majestic-Radio auf dem Küchentisch«, begann mein Onkel. »Es war schlechtes Wetter, und ich versuchte eine klare menschliche Stimme hereinzubekommen. Wir haben nur Bruchstücke gehört. Teile von aktuellen Meldungen und Berichten – ›die Fähre Caribou gesunken‹ – und Rauschen, und dann: ›deutsche U-Boote, die ihrem grausamen Geschäft nachgehen. Es ist ein unmenschliches …‹ – und wieder Rauschen. So etwas kommt öfters vor beim Radio, aber an diesem Tag war es einfach so grausam. Wissen Sie, immer wenn ich irgendein wunderbares Stück von Mr. Beethoven auf meinem Grammofon gespielt habe … Mr. Beethoven ist ein Deutscher. Diesen ganz bestimmten deutschen Menschen bewundere ich durchaus, das kann Ihnen jeder bestätigen, der mich kennt.«
    »Mr. Hillyer …«
    »Nein, das muss ich noch sagen – es ist nämlich so, dass mein Grammofon ziemlich alt ist und meine Schallplatten

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