Der Schlittenmacher
stand auf eurer Veranda und leuchtete mit der Taschenlampe ins Esszimmerfenster, und da sah ich dann Mr. Lessard – er stand auf eurem Esszimmertisch, splitterfasernackt. Kein hübscher Anblick. Und er fuchtelte mit einem Spachtel in der Luft herum, so als würde er ein Orchester dirigieren.«
»Und wie ging es weiter?«, fragte ich.
»Sie machten die Haustür auf und redeten erst mal ein Wörtchen
mit Paulson Lessard«, erzählte Reese. »Er hatte sich in ein Tischtuch gewickelt. Am Ende wurde er nur wegen Ruhestörung angezeigt.«
»Ich schätze, das hat den Ruf meines Hauses nicht gerade verbessert«, bemerkte ich.
»Eins muss man ihm lassen«, fuhr Reese fort, »die Pflanzen hat er immer gegossen. Er hat den Rasen gemäht und den Schnee weggeschaufelt. Er war ja schon alt, aber er stieg sogar auf eine Leiter, um die Fenster zu putzen.«
»Er hat die Radios meiner Mutter verpfändet«, erwiderte ich. »Aber ich hab sie zurückgeholt.«
»Aus dem Pfandhaus?«, fragte Reese.
»Genau.«
»Du meine Güte … Sie mussten also Ihre eigenen Erbstücke zurückkaufen.«
»So kann man’s auch sehen.«
»Wyatt, meine Schicht dauert von vier Uhr bis Mitternacht, siebenmal die Woche, aber sonntags darf ich schon um zehn aufhören. Also, wenn Sie mir aus dem Weg gehen wollen – und das könnte ich verstehen –, dann telefonieren Sie besser nicht in dieser Zeit, okay?«
»Ich muss vielleicht sowieso wieder mal das Hotel wechseln«, sagte ich.
»So geht’s natürlich auch«, meinte sie.
Ich hörte das Summen der Telefonzentrale im Hintergrund – Reese musste einen Anrufer vermitteln, hielt aber die Verbindung mit mir nicht und beendete unser Gespräch ganz abrupt.
Als ich nachdachte, schien es mir dann doch nicht mehr ein so unglaublicher Zufall zu sein, dass Reese Mac Isaac ausgerechnet in dem Hotel arbeitete, in dem ich wohnte. Schließlich war sie schon früher Telefonistin gewesen. Die meisten Hotels
in Halifax hatten eine Telefonzentrale. Und wenn ich so oft das Hotel wechselte – warum sollte sie es dann nicht auch machen?
Aber weißt du was, Marlais? Da hätte schon Lenore Teachout unsere Telefonate mithören und notieren und mir eine Abschrift geben müssen, damit ich noch sagen könnte, worum es in den Dutzenden Gesprächen ging, die ich in den nächsten sechs oder sieben Monaten mit Reese Mac Isaac führte.
Ich kann dir jedoch versichern, dass es sehr lange gedauert hat, bis wir uns das erste Mal gegenübersaßen. Unsere Gespräche spielten sich zwischen der Telefonzentrale und Zimmer 301 ab. Wenn wir uns zufällig in der Lobby sahen, gab es höchstens einen kurzen Gruß, ein Hallo, ein flüchtiges Lächeln, wenn überhaupt. Oft vergingen ein paar Tage, ohne dass wir voneinander hörten, dann redeten wir wieder eine Stunde und länger, je nachdem, wie beschäftigt Reese in der Zentrale war. Es gab aber ein Gespräch, von dem ich dir unbedingt erzählen möchte, und das verlief so.
Es quälte mich schon lange, dass ich sehr wenig über den Tag wusste, an dem meine Eltern von diesen Brücken gesprungen waren. Und so sagte ich eines Abends gegen zehn Uhr zu Reese: »Haben Sie eigentlich noch mit meiner Mutter oder mit meinem Vater gesprochen an dem Tag, an dem sie starben?«
Wahrscheinlich muss man es ihr zugutehalten, dass sie nicht zögerte zu antworten. Dafür war ich dankbar. »Nicht an diesem Tag, nein«, sagte sie. »Am Abend davor habe ich mit Katherine gesprochen, jedoch nicht mit Joe. Ich wollte mich am nächsten Abend mit Joe treffen, aber es gab keinen nächsten Abend.«
»Nein, den gab es nicht mehr.« »Wyatt, wollen Sie wissen, worüber Katherine und ich gesprochen haben?«
»Dann müsste ich mich nicht mehr mit der Frage quälen.«
»Also, Katherine war sehr philosophisch an dem Tag. Wir redeten über die Unmöglichkeit des Lebens. Nein, das stimmt nicht ganz. Eigentlich redeten wir darüber, wie unmöglich das mit uns ist.« Sie hielt inne, wie um sich zu sammeln, bevor sie weitersprach. »Ich erzähle es Ihnen ganz direkt – geht das für Sie in Ordnung, Wyatt?«
»Sagen Sie’s einfach.«
»… wie unmöglich es ist, dass wir eine Liebesbeziehung haben können. Eine richtige Beziehung. Ich meine körperlich, Wyatt. Und auch alle anderen Aspekte. Oh, wir konnten so wunderbar reden. Vor allem über Theater und Filme, aber im Grunde über so gut wie alles. Wir haben auch über ihre Ehe geredet – verzeihen Sie, dass ich das sage. Ihr Vater hat selten über seine Ehe
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