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Der Schlittenmacher

Der Schlittenmacher

Titel: Der Schlittenmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Norman
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sie eins nach dem anderen prüfen können, oder wollen Sie gleich alle sehen?«
    »Gleich alle«, antwortete ich.
    »Gut.«
    Sie stellte die Radios auf der Theke auf. Ich sah sie mir an. »Hat zufällig einmal jemand viele Radios auf einen Schwung zu Ihnen gebracht?«, fragte ich. »So wie die hier – keine gewöhnlichen Radios.«
    »So war’s wirklich«, antwortete sie. »Ich hab sie hinten stehen. Jedes einzelne ein besonderes Modell. Ich nehme an, Sie sind eine Art Sammler.«
    »Darf ich auch die anderen sehen?«, fragte ich.
    Es dauerte ungefähr zehn Minuten, bis J.P. weitere dreiundzwanzig Radios hereingebracht hatte, die nun den gesamten Ladentisch belegten.

    »Ich habe sie schon eine ganze Weile hier«, sagte sie. »Einen Teil hab ich recht schnell verkauft, aber dann kein einziges mehr. Darum habe ich sie rausgenommen und hinten verstaut. Die fünf da hab ich erst letzte Woche wieder ins Schaufenster gestellt. Ein Glück für mich.«
    »Ein Glück für uns beide«, sagte ich.
    »Der Mann, von dem ich sie habe, hat insgesamt 58 Radios gebracht«, berichtete sie. »So etwas vergisst man nicht.«
    »Ich weiß, auf Ihrem Schild da steht, dass Sie nicht feilschen, also will ich auch nicht lang den Preis verhandeln. Aber ich möchte Ihnen ein Geschäft vorschlagen.«
    »Was für eins?«
    »Ich nehme alle achtundzwanzig, wenn Sie mir sagen, wer sie Ihnen gebracht hat.«
    Sie zögerte keinen Augenblick. Sie öffnete eine Schublade in einem Metallschrank und zog nach kurzem Suchen eine Rechnung heraus. »Sind Sie von der Polizei?«, fragte sie.
    »Mein Name ist Wyatt Hillyer«, sagte ich. »Ich kann Ihnen eine Telefonnummer geben, falls Sie’s überprüfen wollen – ich arbeite auf einem Müllsammelboot der Stadt Halifax. Stellen Sie die Radios für mich zurück, ich mache eine Anzahlung. Wie wär’s damit?«
    »Auf einem Müllsammelboot, verstehe«, sagte sie. »Ich sehe euch oft draußen im Hafen.«
    »Wir sind kaum zu übersehen, schätze ich.«
    »Hören Sie«, schlug sie vor, »wenn Sie da einmal etwas finden, von dem Sie glauben, dass es sich verpfänden lässt …«
    »Wir müssen alles melden, was wir aufgabeln«, erwiderte ich. »Aber das meiste, was wir finden, ist kaputt oder einfach unbrauchbar – allerdings nicht alles. Einmal haben wir zum Beispiel ein ganzes mehrbändiges Lexikon herausgefischt.«

    »Im Ernst? Nun, Sie wissen jedenfalls, wo mein Laden ist, für alle Fälle.«
    Sie betrachtete die Rechnung in ihrer Hand und sagte schließlich: »Diese Radios wurden von einem Mr. Paulson Lessard verpfändet, die Adresse lautet Robie Street 56 in Halifax.«
    »Danke«, sagte ich. »Wie wär’s, wenn ich Ihnen als Anzahlung alles gebe, was ich in der Brieftasche habe? Achtzehn Dollar. «
    »Sie tragen viel Geld mit sich herum«, meinte sie. »Kommen Sie doch am Montag wieder, dann zahlen Sie alles auf einmal – was halten Sie davon?«
    »Ich werde mir extra den Tag freinehmen«, antwortete ich. »Ich glaube, ich werde krank werden. Wann genau meinen Sie?«
    J.P. lachte kurz, so als würde es ihr Spaß bereiten, bei dem kleinen Trick mitzumachen. »Also, Mr. Hillyer, Sie kennen Ihre Vorgesetzten – ich nicht. Aber damit Sie überzeugend wirken, würde ich vorschlagen, dass Sie um ungefähr drei Uhr nachts mit starkem Fieber aufwachen. Von Sonntag auf Montag. Sagen Sie, Sie seien mit starkem Fieber aufgewacht – genau so. Wenn Sie am Montag nicht auf der Straße gesehen werden wollen, kann ich meinen Mann Oliver Tecosky zu Ihnen rüberschicken. Er bringt Ihnen die Radios, und Sie geben ihm das Geld und unterschreiben den Kaufvertrag.«
    »Eine Pfandleihe mit Hauszustellung. Das ist schon was«, meinte ich.
    »Ich schreibe mir Ihre Adresse auf«, sagte sie.
    »Ich wohne seit einem halben Jahr im Waverly Hotel«, antwortete ich. »Barrington 274.«
    Sie notierte sich die Adresse. »Mal sehen, die Banken öffnen um neun, also wie wär’s um elf Uhr vormittags?«

    »Ich bin unten in der Lobby.«
    »Ich seh schon, dass ich mich bei Ihnen drauf verlassen kann, mein Geld zu bekommen, Mr. Hillyer«, sagte sie.
    »Und ich seh schon, dass ich mich bei Ihnen drauf verlassen kann, einen fairen Preis zu bekommen«, gab ich zurück.
    »Eines wird Sie vielleicht noch interessieren. Ich mache mit diesen Radios einen hundertprozentigen Gewinn, weil Mr. Lessard nicht mehr unter uns weilt.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Ich glaube das, was in den Todesanzeigen in der Mail steht.«
    »Es kommt nicht jeden Tag

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