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Der Schlittenmacher

Der Schlittenmacher

Titel: Der Schlittenmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Norman
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zwei- oder dreimal auf der Straße gesehen, und einmal durch ein Restaurantfenster, aber da war ich mir nie ganz sicher gewesen. Vielleicht lag es daran, dass sie »Ihre frühere Nachbarin« gesagt hatte. So als wäre alles, was irgendwann vorgefallen war, gar nicht der Rede wert, und als hätten wir nur ein ganz normales nachbarschaftliches Verhältnis gehabt.
    »Wissen Sie, ich habe Sie damals gesehen«, fuhr sie fort. »Wie viele Jahre ist das jetzt her? Sie standen mit zwei Leuten am Kai, beide ein ganzes Stück älter als Sie, und ich ging an Bord der Victoria , um nach New York City zu fahren. Das war nicht lange nachdem Katherine und Joe gestorben waren. Ich wurde damals von Zeitungsreportern verfolgt und musste für eine Weile weg. Ich blieb aber nicht lange in New York. Ich war so dumm und ehrgeizig, wissen Sie. Ich dachte mir, ich such mir einfach Arbeit als Schauspielerin, und stellte schnell fest, dass es Hunderte gab, die das Gleiche wollten. Das können Sie sich nicht vorstellen. Ich ging viel herum, dann saß ich wieder im Hotelzimmer. Aber ich wusste einfach nicht, was ich anfangen sollte, und so kehrte ich nach ein paar Wochen zurück. Wechselte von einem Job zum anderen, bis ich vor zwei Jahren hier im Homestead gelandet bin.«
    »Dann sind Sie wohl ganz schön herumgekommen in Halifax«, sagte ich. »Genau wie ich, von Hotel zu Hotel.«
    »Ja, stimmt.«
    »Und Sie arbeiten als Telefonistin, wie damals«, fügte ich hinzu.
    »Ich brauche eben einen Job, und in dem hier kenne ich mich aus.«
    »Meine Eltern und ich, wir haben Sie damals in Widow’s Walk gesehen«, erzählte ich.

    »Und – hat es Sie überrascht, dass sie mich nicht für den Oscar nominiert haben?«
    »Was mich wirklich überrascht hat, war, was Sie meiner Mutter und meinem Vater bedeutet haben, unabhängig voneinander«, erwiderte ich. »Das hat mich wirklich überrascht.«
    »Das hat uns drei genauso überrascht«, gab sie zurück.
    »Ja, und meine Eltern so sehr, dass sie von einer Brücke gesprungen sind.«
    Wieder schwieg sie eine ganze Weile. »Ich versuche jetzt, die Verbindung für Sie herzustellen, Wyatt«, sagte sie schließlich.
    Ungefähr zehn Minuten später rief Reese Mac Isaac erneut an. »Ich habe es mindestens dreißigmal läuten lassen, doch Ihre Cornelia Tell hat nicht abgehoben. Soll ich es später noch einmal versuchen?«
    »Vielleicht morgen«, antwortete ich.
    »Ich darf das Telefon hier eigentlich nicht für Privatgespräche benutzen«, sagte sie. »Aber ich wohne wieder im selben Haus wie damals, in der Robie Street 60. Nur damit Sie’s wissen. «
    »Auf Wiederhören, Frau Telefonistin«, sagte ich.
    »Haben Sie gewusst, dass der alte Paulson Lessard angezeigt wurde und Strafe zahlen musste, wegen Ruhestörung?«
    »Ich habe keinen Kontakt mit Paulson Lessard«, gab ich zurück.
    »Das hat niemand, weil er tot und begraben ist, Wyatt«, sagte sie.
    »Er hat die Radios meiner Mutter verpfändet.«
    »Das war nicht nett von ihm.«
    »Das war Diebstahl.«
    »Ich weiß, das ist nichts Besonderes, dass er wegen Ruhestörung angezeigt wurde. Ich meine, wir haben schlimmere Dinge
erlebt, wenn ich an den Krieg denke, oder? Was zählt da schon eine kleine Ruhestörung? Aber es war so – als Sie damals weggingen, da haben Sie doch mit Paulson Lessard vereinbart, dass er sich ums Haus kümmert. Sie haben ihm den Schlüssel gegeben.«
    »Stimmt.«
    »Nun, an einem Sonntagabend drehte er Katherines Radios alle zusammen auf volle Lautstärke auf. Wenn ein Geist in einem Zoo auftauchen würde, gäbe es auch keinen größeren Lärm. Wissen Sie, ich war gerade zurück aus New York und schlief, als es passierte. Ich wachte auf und schaute aus dem Küchenfenster, aber ich sah niemanden in Ihrem Haus. Eine Nachbarin von gegenüber rief die Polizei. Ich ging hinaus auf die Veranda. Die Nachbarin stand auf dem Rasen vor eurem Haus. Sie hat nie viel mit mir geredet. Eigentlich hat niemand mit mir geredet – außer den Zeitungsreportern, und was die über mich schrieben, war das Letzte, lauter Mist über mich und Katherine, über mich und Joe. Eine Zeitung bot mir sogar Geld an, damit ich meine ›wahre Geschichte‹ erzähle.«
    »Die wahre Geschichte einer Hure«, warf ich ein.
    »Ja, so ungefähr«, fuhr sie fort. »Jedenfalls kam dann ein Streifenwagen, und zwei Polizisten klopften an die Tür. Da hatten sich schon mindestens zehn Leute bei euch vor dem Haus versammelt. Ich sah wieder aus dem Küchenfenster. Ein Polizist

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