Der Schluessel von Jirunga
und waren abg e magert bis auf die Knochen.
„Das ist wirklich schlimm“, sagte Gerad.
„Was?“
„Dieses Elend. Diese Armut. In Jirunga sind solche wüsten Landgebiete unb e wohnt.“
„Ja. Du hast recht. Obwohl... die Hütte des Bibliothekars war auch nicht viel be s ser.“
Gerad blickte Lil an. „Das ist etwas anderes. Er lebt in Verba n nung. Es war eine Strafe. Sind die Menschen, die hier leben ebe n falls für etwas bestraft worden?“
„Nein. Ich denke nicht.“
„Das ist wirklich schlimm.“
Gerad verschloss für einen Moment seine Augen. Lil spürte se i nen Schmerz. Offensichtlich konnte Gerad das Elend anderer Menschen nur schwer ertragen. Er fühlte mit den leidenden Me n schen, als g e hörten sie zu seiner eigenen Familie.
Endlich erreichten sie ihr Ziel. Das Katharinenkloster. Der Bu s fahrer sprach ein paar arabische Worte in sein Mikrofon und stoppte den Bus. Nachdem sie ausgestiegen waren, fuhr der Fa h rer rasant davon, als würde er diese Gegend fürchten. Dann waren sie allein. Sie be o bachteten den davonbrausenden Autobus, bis er nur noch als Staubwolke am Horizont zu erkennen war und blic k ten sich um.
Vor ihnen lag der 2285 Meter hohe Berg Sinai, an dessen Fuß das alte Kloster lag. Der Bus hatte sie durch die Stadt Dahab über eine staubige Straße hierher gebracht und nun starrten sie sta u nend in die Höhe.
„Das also ist der heilige Berg“, sagte Lil.
„Wie geht es jetzt weiter?“
„Wir müssen da rauf!“
„Wo?“
„Da“, sagte Lil und zeigte mit der rechten Hand in den Himmel.
„Ganz nach oben?“
„Ja.“
„Wieso?“
„Wären wir jetzt in Jirunga, wäre dort oben die Stadt Eden“, e r klärte Lil.
„Bist du sicher?“
„Nein!“
„Toll.“
„Ja!“
„Was ist mit dem Kloster?“
„Das dort vorne?“
„Welches sonst?“
„Nichts. Es ist ein Kloster.“
„Aha!“
„Was bedeutet dein AHA ?“
„Bei uns in Jirunga sind dort nur Steine!“
„Schönheitsfehler!“
„...und Spinnen!“
„Ja. Riesenspinnen!“
„Genau!“
„Wir müssen ganz rauf?“
„Ja!“
„Jetzt?“
„Ja!“
Lil setzte als erster einen Fuß vor den anderen und endlich ma r schierten sie los. Es dauerte gut dreißig Minuten, bis sie den Fuß des Berges endlich erreichten. Der staubige Fußpfad war zwar angenehm zu laufen, jedoch war es höllisch heiß und sie schwit z ten wie in der Sauna. Die Wüste war so trocken, dass nicht ei n mal ein Kaktus zu sehen war, keine Pflanze fand hier eine L e bensgrundlage, es gab nichts als Sand und einmal entdeckte Lil sogar einen abgemagerten, F utter suchenden, schwarzen Skorp i on, der kaum fünf Meter an ihnen vorüber lief und sich dann im Boden vergrub um nach feuchten Stellen zu suchen. Schließlich sta n den sie vor dem Berg und starrten in die Höhe. Vor ihnen lag eine in den Stein geschlagene Treppe die steil nach oben führte.
„Ist das der Weg nach oben?“ , fragte Gerad.
„Die Mönche des Katharinenklosters haben 3750 Stufen in den Berg geschlagen, bis sie zu einem Amphitheater gelangten, das unter dem Namen „Die sieben We i sen aus Israel“ bekannt ist. Doch das ist noch lange nicht der Gipfel. Von dort führen weitere 750 Stufen zur en d gültigen Spitze. Dieser Endspurt soll angeblich dreimal so steil sein, wie die ersten 3750 Stufen. Es wird also anstrengender, je näher wir dem Ziel kommen. Wir müssen in s gesamt 4500 Stufen nach oben steigen um den Gipfel zu erre i chen“, erklärte Lil.
„Was? 450 Stufen?“ schimpfte Gerad. „Das ist unmenschlich!“
„Ich sagte 4500 Stufen. Nicht 450. Das ist nicht nur unmensc h lich, das ist besti a lisch, vor allem bei der herrschenden Hitze.“
Gerad nahm seinen Rucksack von der Schulter und prüfte seinen Wasservorrat.
„Wir sollten sparsam mit dem Wasser umgehen. Was erwartet uns, wenn wir oben ankommen?“
„Also, wenn wir uns zwei Sekunden Zeit für jede Stufe nehmen, b e nötigen wir 9000 Sekunden, um oben anzukommen. Das sind 150 Minuten, oder besser noch, zwei einhalb Stunden. Rechnen wir lieber mit vier Stunden, dann können wir uns die eine oder andere Rast erlauben. Wir machen Pause, wenn wir einen schatt i gen Platz finden, trinken etwas und gehen dann weiter. Wenn wir es schaffen, ohne Hitzeschlag oben anzukommen, sollten wir die Kapelle der heiligen Dreifaltigkeit finden. Eine Verköstigung ist nicht zu erwarten, also sollten wir davon ausgehen, dass wir uns e ren Wasservorrat für den Abstieg mit einplanen müssen.
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