Der Schluessel zum Glueck
Schnappschüssen fand sie, wonach sie suchte. Das Foto einer alten Frau, die mit drei kleinen Jungs auf der Lichtung stand. Dieselbe Frau strickend im Sessel. Und zusammen mit Caitlin vor dem Highgrade. Jilly starrte auf die Fotos. Ihr Gesicht war heiß, und ihr Herz raste. Das musste Mavis sein. Denn die alte Frau sah genauso aus wie die, die sie in ihren Träumen gesehen hatte.
Als die erste Begeisterung über ihren Fund sich legte, begann Jilly zu zittern.
Das konnte doch nicht wahr sein? War es tatsächlich der Geist von Wills Großmutter gewesen, der sie in zwei aufeinander folgenden Nächten besucht hatte?
Sie hörte Wills Schritte auf der schmalen Treppe und war zunächst versucht, alles wieder in den Karton zu stopfen, ihn zurückzustellen und so zu tun, als wäre ihre Suche erfolglos gewesen. Andererseits… warum sollte sie das tun? Will konnte doch nicht wissen, was sie im Traum gesehen hatte.
Er trat durch den Vorhang, und sie drehte sich zu ihm um, das Foto von Mavis und Caitlin vor dem Highgrade noch in der Hand. „Das hier muss Ihre Großmutter sein. Habe ich Recht?“
Er hockte sich neben Jilly und betrachtete das Bild. „Ja. Das ist meine Grandma.“
Er strich über das faltige Gesicht, bevor er Jilly einen fragenden Blick zuwarf.
„Was haben Sie denn?“
„Nichts.“
„Sie sehen so traurig aus.“
Jilly lächelte matt. „Vielleicht bin ich das auch. Ich habe an Ihre Großmutter gedacht, mir vorgestellt, wie sie hier oben gelebt hat. Sie muss einsam gewesen sein.“
Will zog die Augenbrauen zusammen. „Auf mich hat sie immer einen zufriedenen Eindruck gemacht. Aber ich war ja noch klein. Was wusste ich schon?“
Sie legte ihm eine Hand auf den Arm. „Ich wette, Sie kannten sie besser als alle anderen.“
Will sah erst auf ihre Hand, dann in ihre Augen, und plötzlich nahm Jilly seine Körperwärme wahr und spürte die festen Muskeln. Sie registrierte, wie sein Adamsapfel sich bewegte, als er schluckte – und ertappte sich dabei, ebenfalls zu schlucken.
Sie ließ seinen Arm los. „Kommen Sie“, sagte sie forsch und sammelte die verstreuten Fotos ein. „Helfen Sie mir. Wir haben noch so viel zu tun.“
„Jilly.“
Sie zwang sich, ihn anzuschauen.
Und da war es wieder, dieses Gefühl, dass etwas Wunderschönes geschehen würde…
Nein. Er war nicht an ihr interessiert. Jedenfalls nicht so. Dieses Mal blickte er zur Seite. Und als er sie wieder ansah, war der gefährliche Moment vorüber.
„Was genau haben wir denn noch zu tun?“ fragte Will misstrauisch.
Jilly war heilfroh, dass sie beide eben gerade keine Dummheit begangen hatten –
sich zu küssen, zum Beispiel. Denn sie hatte einen Plan und durfte sich durch nichts davon abbringen lassen.
Sie hatte ihn geschmiedet, während Will ihr erklärte, warum er das
Weihnachtsfest nicht mochte. Er brauchte ihre Hilfe, und die würde sie ihm nicht versagen. Wenn der Schneepflug hier oben eintraf, um den langen Weg zwischen der Hütte und der Straße zu räumen, würde Will Bravo Weihnachten mit anderen Augen sehen. Dafür würde Julian Diamond persönlich sorgen.
10. KAPITEL
„Jilly“, sagte Will, als sie wieder in der Küche waren und Jilly daran ging, die Füllung für den Truthahn vorzubereiten. „Muss das sein?“
„Ja, es muss sein.“ Sie öffnete den Kühlschrank und holte die Wurst heraus. „Es wird Ihnen schmecken. Ich brauche jetzt eine Pfanne.“
Will holte ein altmodisches gusseisernes Exemplar heraus. „Wissen Sie, wir könnten ebenso gut etwas aus der Dose essen.“
Jilly stellte die Pfanne auf den Herd und zündete die Gasflamme an. „Es gibt Zeiten, da sollte man sich ein festliches Mahl gönnen.“
„Zeiten wie Weihnachten“, murmelte er missmutig.
Sie pustete das Streichholz aus. „Ganz genau. Geben Sie mir die Wurst.“ Er reichte sie ihr. Jilly wickelte sie aus und legte sie in die Pfanne. Dann streckte sie eine Hand aus. „Holzlöffel?“
Will nahm einen aus dem Tonkrug neben dem Herd und drückte ihn ihr in die Hand.
Sie zerteilte die Wurst. „Holen Sie den Truthahn heraus, spülen Sie ihn innen und außen ab, und trocknen Sie ihn mit einem Küchentuch ab, ja? Und vergessen Sie nicht, das Geflügelklein herauszunehmen und es ebenfalls zu waschen.“
Nach kurzem Zögern gehorchte er.
„Sobald der Vogel in der Röhre ist, können wir nach draußen gehen und uns einen schönen Baum suchen“, verkündete Jilly fröhlich.
„Meine erste Wahl wäre eine Silbertanne“, sagte Jilly.
Weitere Kostenlose Bücher