Der Schlüssel zum Tode Kommissar Morry
verstohlene Zärtlichkeiten und fade Küsse. Man sah Umarmungen und verliebtes Getuschel. Die Sünde hatte tausend lockende Arme.
„Wohin jetzt?“, fragte Chefinspektor Grahan verlegen. „Wollen wir ewig hier herumstehen?“
„Moment!“, sagte Kommissar Morry rasch. „Ich glaube, ich habe ein freies Plätzchen entdeckt. Kommen Sie mit!“
Sie gingen auf die letzte Polsternische zu. Dort saß Sandra Bourdon, die ehemalige Zirkusreiterin. Sie war auch an diesem Abend allein. Ihr Gesicht wirkte kalt und abweisend. Anscheinend ging ihr der laute Betrieb ziemlich auf die Nerven.
„Dürfen wir uns zu Ihnen setzen?“, fragte Kommissär Morry höflich. „Oder haben Sie etwas gegen die Polizei?“
„Nicht im geringsten“, sagte Sandra Bourdon mit spöttischem Augenaufschlag. „Setzen Sie sich ruhig an meine Seite. Ich bin im Augenblick nicht gefährlich.“
Morry beobachtete sie heimlich, wie sie elegant ihre lange Zigarettenspitze zum Munde führte. Sie wirkte fast wie eine Dame. Alles an ihr war selbstbewußt und hoheitsvoll.
„Daß Sie nicht Artistin geblieben sind?“, meinte Morry bedauernd. „Sie wurden früher von vielen Menschen bewundert. Ich selbst habe Sie zwei- oder dreimal im Tivoli gesehen.“
„Davon verstehen Sie nichts, Kommissar“, sagte Sandra Bourdon mit heiserer Stimme. „Abwärts geht es sehr schnell. Ehe man sichcs versieht, steckt man schon bis zum Hals im Morast. Und im Sumpf kann man leider nicht schwimmen. Da geht man unter.“
Chefinspektor Grahan bestellte sich ein halbes Hähnchen und gab sich ganz seinen Genüssen hin. Mit keinem Wort beteiligte er sich an der Unterhaltung. Andächtig nagte er die zarten Knochen ab. „Sie haben damals Wachtmeister Swan eine Schatulle übergeben, nicht wahr?“, nahm Morry das Gespräch wieder auf. „Wenn ich recht im Bilde bin, enthielt das Kästchen Briefe und Photos von Lissy Black. Stimmt das?“
„Hm. So war es.“
„Diese Schatulle ist seither verschwunden“, murmelte der Kommissar nachdenklich. „Wenn ich nur wüßte, wer sie in Händen hat. Dann könnte ich heute Nacht ruhig schlafen.“
„Ich weiß nichts davon“, sagte Sandra Bourdon kühl. „Ich habe getan, was ich konnte.“
„Sie müssen noch mehr tun“, sagte Morry eindringlich. „Wir werden Sie nachher in Ihre Wohnung begleiten. Keine Sorge, wir bleiben nicht lang.“
Sandra Bourdon lächelte spöttisch vor sich hin.
„Meine Gäste werden immer vornehmer“, sagte sie ironisch.
„Erst waren es nur Sergeanten und Wachtmeister. Jetzt kommen schon Kommissare und Chefinspektoren auf meine Bude. Eine bessere Reklame könnte ich mir gar nicht wünschen.“
„Lassen Sie den Spott“, sagte Morry ernst. „Vielleicht bringt diese Nacht eine entscheidende Wende.“
Sie mußten sich noch gedulden, bis Chefinspektor Grahan zum zweitenmal seinen Durst gestillt hatte. Dann erst konnten sie aufbrechen. Sie gingen langsam und mit lautem Geplauder auf das letzte Haus am Mardon Place zu. Kommissar Morry spähte verstohlen in alle Häusernischen und Torbögen. Er tastete jeden dunklen Winkel ab. Er drehte sich mehrmals um. Sein untrüglicher Instinkt verriet ihm, daß sie verfolgt wurden. Irgendjemand schlich hinter ihnen her.
Na also, dachte Morry in stillem Triumph. Die Falle steht offen. Nun wollen wir sehen, wen sie uns fängt. Sie gingen hinter Sandra Bourdon die steile Stiege hinauf. Ihre Schritte verursachten ziemlichen Lärm. Irgendwo wurde eine Wohnungstür auf gestoßen.
„Jagt doch endlich dieses Frauenzimmer aus dem Haus“, keifte eine gehässige Stimme. „Nun bringt sie schon zwei Kavaliere mit. Wenn das so weitergeht, werden sie hier auf der Treppe Schlange stehen.“
„Beruhigen Sie sich, liebe Frau“, sagte Morry freundlich und hielt der alten Dame seinen Polizeiausweis unter die Nase.
„Wir sind rein dienstlich hier. Um unser Seelenheil brauchen Sie nicht besorgt zu sein.“
Eine Minute später traten sie in das Zimmer Sandra Bourdons ein. Sie blickten scheu zu dem Sofa hin, auf dem Lissy Black ermordet worden war. Nichts erinnerte mehr an ihren jähen Tod. Alle Spuren waren sorgfältig getilgt worden.
„Setzen Sie sich doch, meine Herren“, sagte Sandra Bourdon einladend. „Was kann ich sonst noch für Sie tun? Wollen Sie einen indischen Schleiertanz sehen? Das ist mein Spezialfach. Sieben Schleier sind es zuerst, dann werden es immer weniger, bis ich zuletzt überhaupt nichts mehr . . .“
„Ersparen Sie sich die Mühe“, sagte
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