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Der Schmetterlingsbaum

Der Schmetterlingsbaum

Titel: Der Schmetterlingsbaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Urquhart
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zwischen uns und ihrer Familie, den Butlers, herstellte, aber nicht groß genug, als dass wir uns dort nicht immer hätten zu Hause fühlen dürfen. Das hatte bis zu einem gewissen Punkt auch mit dem frühen Tod meines Vaters zu tun, aber sicher nicht allein damit. In der Familie kursierte der Spruch: »Bei den Butlers kannst du ein-, aber nie mehr ausheiraten.« Im Fall der Frau meines Onkels, Tante Sadie, selbst eine Butler und ihrem Mann eine Cousine zweiten Grades, stellte sich das Problem erst gar nicht. Übrigens lebte auch sie ein paar Jahre im Golden Field, bis ihr naher Tod in meiner Mutter den Wunsch weckte, sie in dieses Haus zurückzuholen. Aber sie war in einem anderen Flügel untergebracht, einem, den man weniger gern besucht.
    Seltsame Vorstellung, diese beiden Frauen, jede für sich, dann zu zweit, immer nur zeitweise. Nachdem ihre Söhne das Haus verlassen hatten, um zu studieren, und Mandy an der Militärhochschule war, und bevor meine Mutter in Rente ging, ihren Job in der Stadt aufgab und zu ihr zog, lebte meine Tante allein im Haus. Dann wohnten sie gemeinsam hier, bis die Situation mit meiner demenzkranken Tante nicht mehr haltbar war und Mandy und ihre Brüder einen Platz in ebenjenem Flügel für sie fanden. Nachdem meine Tante gestorben war, blieb meine Mutter noch eine Weile im Haus; wenn sie wollte, könnte sie noch immer hier wohnen.
    Ich denke oft an meine Tante, und dann denke ich vor allem an die imposante Frau, die sie in den Sommern meiner Kindheit war, nicht an die Frau, zu der sie später wurde – die traurige, verwirrte Pflegeheiminsassin. Von scharfer Intelligenz und sehr amerikanischer Art, brachte sie, als sie das nördliche Ohio verließ und über den See kam, um meinen Onkel zu heiraten, eine Kombination aus Pragmatismus und Schwung in eine maßvoll exzentrische kanadische Welt und eine Familie, die es bis dahin zufrieden gewesen war, in dem von den Vorfahren zwei Generationen früher erbauten Feldsteinhaus vor sich hin zu wursteln. Sie brachte noch mehr mit: Ehrgeiz. Und Geschmack.
    Es gab praktisch nichts, das sie mit dem Inneren oder Äußeren eines Hauses, mit den Gärten ringsum nicht hätte zuwege bringen können. Meine Mutter sagt, Sadie habe akribisch die »bedeutenden« architektonischen Besonderheiten wiederhergestellt, die von den kolonialen Vorfahren stammten – sie besaß schließlich Respekt und historisches Verständnis –, und gnadenlos ausgemerzt, was sie für unbedeutend hielt. Zum Beispiel entfernte sie alle geblümten Tapeten und strich die Räume hellgelb mit weißer Bordüre. Sie riss das Linoleum heraus und ließ die Holzböden darunter abschleifen und versiegeln. Sie grub sämtliche Spiersträucher und Forsythien meiner Großmutter aus und pflanzte Rosen, Lilien, Rittersporn und andere Prachtblumen und -stauden, deren Namen sie allein kannte. Sie nahm die Quilts von den Betten und hängte die besten an die Wand, die unrettbar verschlissenen warf sie fort. Sie ließ die alte Zufahrt planieren und mit weißem Kies auffüllen. Der Rasen wurde gewalzt.
    Sie war keine konventionelle Schönheit. Sehr groß war sie, beinahe schlaksig, und ihr Gesicht ein wenig eckig, aber die Bewunderung, die meine Mutter ihr entgegenbrachte, galt nicht zuletzt dem, was sie aus dem Gegebenen zu machen verstand: Selbst wenn sie betont salopp gekleidet war, legte sie eine stilistische Vielfalt an den Tag, in der ihr im ländlichen Ontario niemand das Wasser reichen konnte. Auch den Verstand meiner Tante bewunderte meine Mutter. Während der ganzen Jahre auf der Farm führte sie die Bücher, und kaum hatte sie sich hier niedergelassen, begann sie meinem Onkel, wie meine Mutter zu sagen pflegte, »ein Stück weit Vernunft einzubläuen«. Nur eines gelang ihr nicht, nämlich Tomaten und Erdbeerpflanzen zu zweimaliger Blüte und Ernte im Jahr zu überreden: Dazu brauchte es die Risikofreude meines Onkels und seinen wissenschaftlichen Geist – einen Geist, den ich, könnte man sagen, geerbt hatte. Aber wäre es ohne seine Frau je so weit gekommen? Meine Mutter findet, nein. Sadie sei die Tochter des erfolgreicheren amerikanischen Zweigs der Familie gewesen, sagte sie einmal zu mir und meinte damit, dass sie als solche sämtliche Erwartungen des florierenden Fruchtimperiums in Ohio über den See mitnahm.
    Vor gut zwei Jahren verkündete meine Mutter aus heiterem Himmel, es sei jetzt Zeit für ihren Umzug ins Golden Field. Als ich wissen wollte, weshalb – sie war schließlich

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