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Der Schmetterlingsbaum

Der Schmetterlingsbaum

Titel: Der Schmetterlingsbaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Urquhart
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Sommer.« Keine Reaktion. »Seine Mutter hieß Dolores«, sagte ich. »Sie war Vorarbeiterin, erinnerst du dich?«
    »Äpfel«, sagte meine Mutter. »Ich hab mich oft gefragt, was die Welt mit den vielen Äpfeln anfing. Deine Großmutter hängte sie noch an Schnüren auf, um sie zu trocknen, zu konservieren. Ich glaube nicht, dass das heutzutage noch irgendwer so macht.« Ein undeutliches Bild von den hölzernen Fensterbänken im Schlafzimmer meiner Großmutter tauchte vor mir auf. Und es kam eine akustische Erinnerung an Schmeißfliegen, die sich in dem Sommer nach ihrem Tod, als das Zimmer nicht mehr benutzt wurde, brummend dort herumtrieben. Ich hatte meine Großmutter nur in meiner frühen Kindheit gekannt.
    »Bitte erinnere dich an Teo«, sagte ich leise. »Bitte sag, dass du dich an Teo erinnerst.«
    Meine Mutter stand langsam von ihrem Stuhl auf, ging hinüber in ihre winzige Küche und kam mit einem feuchten Tuch zurück. Das einfallende Sonnenlicht hatte auf einem ihrer Beistelltischchen einen Teefleck sichtbar gemacht, und daran wischte sie jetzt herum. Sie kehrte mir den Rücken zu, und ihr dünner Arm bewegte sich emsig hin und her.
    »Bitte«, wiederholte ich und fühlte das quengelnde Kind in mir, »bitte sag’s einfach.«
    Jetzt drehte sie sich zu mir um, mit fröhlicher, freundlicher Miene, um den Kopf eine leuchtende Korona, weil die Wintersonne sie von hinten beschien. »Wie bitte, Liebes?«, fragte sie.
    »Mein Gott, Mama.« Ich betrachtete ihre Hand auf dem Tuch. Die Adern unter der Hand sahen aus wie rötlich violette Sehnen. »Denk doch nach. Denk an Teo.« Unwillkürlich hob ich die Stimme.
    »Ach das.« Sie faltete das Tuch zweimal zusammen. »Nein, Liebes, ich glaube nicht.«
    Das quengelnde Kind in mir wurde zum Teenager und bekam unbändige Lust, mit den Autoschlüsseln in der Faust aus dem Apartment zu stürmen und mit quietschenden Reifen über den Parkplatz zu brettern. Natürlich tat ich nichts dergleichen, sondern ließ sie ihren Kopf durchsetzen und mir noch einmal alles über die Konservierung von Äpfeln erzählen, über die Zubereitung von Apfelsoße und die jeden Herbst stattfindende Fahrt mit einem Anhänger voller Fallobst zur Mostkelterei. Ich ließ mich noch einmal fragen, ob ich die Dachrinnen saubergemacht, die Winterfenster eingehängt, die Gartenmöbel sicher verräumt hätte. Aber schließlich gewann doch der Teenager in mir die Oberhand, und ich holte meinen Mantel.
    Als ich im Begriff war zu gehen, fragte meine Mutter nach den Monarchfaltern. »Wie geht’s deinen Schmetterlingen, Liz?«
    »Weg«, schnauzte ich und rammte die Hände in die Handschuhe. »Es ist Winter. Hast du das auch vergessen?«
    »Oh Liz … « In ihrem Ton schwang Trauer mit, ihre Miene war kühl und distanziert, und ich sah ihr an, was sie dachte: dass ich jetzt, nach den vielen, vielen Jahren, ihre Reserviertheit doch endlich akzeptieren und meinerseits eine gewisse Zurückhaltung an den Tag legen müsse. Aber das fiel mir nicht ein. Ich wollte ihr Schweigen mit der Faust zertrümmern und die ganze Geschichte ausbreiten, hier auf dem Couchtisch neben ihren Knien. Bestätigen sollte sie meine Verbitterung, nicht leugnen.

D er Junge namens Teo wurde in einem Sommer, als wir noch Kinder waren, aber nicht mehr so jung, dass wir in Hausnähe gehalten wurden, ziemlich überraschend einer von uns. Mandy muss acht gewesen sein und ich demnach knapp zehn, die Jungs ein paar Jahre älter. Unsere Cousins aus der Stadt – Kath, ein paar Jahre jünger als Mandy, und ihre beiden Brüder Peter und Paul, gleichaltrig mit Onkel Stanleys Söhnen Don und Shane – waren groß genug, um fast jeden Tag zur Farm zu radeln und schwimmen zu gehen, im Wald und auf den Wiesen Baumhäuser und Forts zu bauen und in den zunehmend komplizierten Fantasiespielen, die aus unserem kollektiven Verschlingen der Hardy-Boys-Krimis und Mandys frühzeitiger Lektüre von Oliver Twist hervorgingen, Rollen zu übernehmen. Ihr Vater Harold, mein anderer Onkel, hatte einmal versucht, den Lebensunterhalt seiner Familie als Tabakbauer zu bestreiten, aber das Unternehmen hatte sich als zu kostspielig und letztlich zu riskant erwiesen, so dass er seine Farm und Trockenöfen verkaufte und ins Auktionsgeschäft einstieg. Er sei einer der Abzweiger, sagte Onkel Stan, er wäre Leuchtturmwärter geworden, wäre nicht alles vor die Hunde gegangen, was hieß: wären die Leuchttürme nicht automatisiert worden. Trotz seines Andersseins nannte ich ihn

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