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Der Schmetterlingsbaum

Der Schmetterlingsbaum

Titel: Der Schmetterlingsbaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Urquhart
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pflichtbewusst Onkel Harold und empfand einen gewissen Stolz, wenn ich ihn als Auktionator erlebte und er, mit ausgeprägter irischer Beredsamkeit, Stück für Stück, wie ich jetzt erkenne, die Überreste genau jener Welt verkaufte, die ihn hervorgebracht hatte. Gusseiserne Töpfe, Holzschaufeln, Küchenkredenzen, Quilts, Petroleumlampen, gedrechselte Bettgestelle, Wanduhren, manchmal sogar Schlitten und Kutschen. In einem fort, Wochenende um Wochenende, wurden diese einst unverzichtbaren, jetzt überzähligen Bedarfsgegenstände zusammengetragen und dann wie Samenkörner in einen stürmischen Wind geworfen; manchmal verließen sie das Land, immer aber verließen sie ihr ursprüngliches Umfeld und wurden ersetzt durch Plastik, Sperrholzplatten, rostfreien Stahl. Ich erinnere mich an Ochsenjoche, Schlittengeläute, eigenartig düstere Ölgemälde, Sprossenstühle und eine unendliche Vielfalt von Porzellantellern, -tassen, -untertassen. Sie sind jetzt in alle Winde zerstreut, Gott weiß, wo.
    Manchmal besuchte meine Tante solche Veranstaltungen (und nahm Mandy und mich mit), wenn sie gehört hatte, dass »ein besonders gutes Stück« zur Versteigerung käme, und dann brachte sie vielleicht einen Pressglasbecher oder Kelch für ihre Sammlung mit. Die Gläser wurden auf eigens dafür gebauten Regalen ausgestellt und bewundert, aber nie benutzt. Wir Kinder lernten einige Muster – durch Osmose, vermute ich, denn an den Gegenständen selbst waren wir kaum interessiert: Neuschottlandtraube, Schmetterling-und-Fächer, Raute-und-Sonne, Apfelblüte. Mein Onkel, der immer seine Familiengeschichte ins Spiel bringen musste, erzählte uns Geschichten von den kanadischen Glasbläsereien und -schleifereien des neunzehnten Jahrhunderts und behauptete, einer der zweifelhafteren Urure sei Glasbläser in der Manufaktur von Mallorytown gewesen. An jedem Labour Day hätten dort prächtige Paraden stattgefunden, bei denen die Glasbläser in Bataillonen marschierten, Reihe um Reihe mit Glashüten auf dem Kopf und gläsernen Spazierstöcken, manchmal mit gläsernen Nudelhölzern und Äxten bewaffnet. Als Erwachsene bekam ich meine Zweifel an dieser Geschichte, ebenso wie an vielen anderen, die mein Onkel erzählt hatte, und deshalb erschrak ich direkt, als ich vor ein paar Monaten eines Abends in einem Buch über die Geschichte des Glases blätterte und feststellte, dass sie tatsächlich stimmt. Der Verband der Glasflaschenbläser der USA und Kanadas war ebenso mächtig wie stolz und prahlte begeistert sogar mit den schrulligsten Erzeugnissen. Meine Tante sammelte nur kanadisches Glas, was überraschend war, schließlich war sie nach Geburt und Lebensgefühl Amerikanerin. Vielleicht aber war das ihre Art, Anspruch auf ein Stück vom Kulturerbe des Landes zu erheben, in das sie als Erwachsene ausgewandert war.
    Teo, wie gesagt, trat in einem Sommer in unser Leben, als wir alle zwischen acht und zwölf waren und unsere Spiele ausgeklügelter und weiträumiger geworden waren. In den warmen hellen Stunden dieser Sommer, in denen wir Kinder eng zusammenrückten, uns praktisch zu einem Clan zusammenschlossen und unsere Vorstellungswelten sich umeinanderschlangen, ging unser restliches Leben vollkommen unter. Mein Onkel, der Versteigerer, kam manchmal mit »erfolglosen Restposten«, wie er das nannte, von der einen oder anderen Auktion an und stellte uns hölzerne Obstkisten mit gesprungenem Geschirr und rostigem Besteck hin, die Mandy und mir – und Kath, wenn sie da war – uneingeschränkt zur Verfügung standen, weil wir, so die Annahme, doch sicherlich Vater-Mutter-Kind spielen wollten. Mandy, die das Schatzkästlein der Poesie las, rezitierte einmal zwei Strophen eines Gedichts, das sie darin entdeckt hatte, und während wir Porzellan sortierten, ließen die Zeilen uns innehalten, und wir fragten uns, woher der Dichter von unserem Geheimnis wusste.
    Das ist der Schlüssel zum Spielhaus
    Im Wald dort am steinigen Strand.
    Winter ist’s, und ich frag mich doch:
    Ist’s Schnee da drauß’ vor der Wand?
    Ist das mein kleiner Schaukelstuhl
    Und die Teller in ihrem Regal
    Und meine kleinen Blumentässchen,
    vieltausendfach an der Zahl?
    Wir waren uns der Geschlechterunterschiede gerade erst so weit bewusst geworden, dass wir das Bedürfnis hatten, uns abzugrenzen und unser Revier abzustecken: Die Jungen hatten ihre Baumhäuser, die Mädchen ihre Forts. Aus den Obstkisten wurden die Möbel laubgrüner Räume, und die angeschlagenen Gefäße

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