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Der Schnee war schmutzig

Der Schnee war schmutzig

Titel: Der Schnee war schmutzig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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und dann gezwungen zu sein, einzutreten und sich mit ihr allein in der schlecht beleuchteten Küche zu befinden, wo vielleicht noch die Reste ihres Abendessens auf dem Tisch standen.
    Abends muß sie das Bett aufklappen, und die Tür zu ihrem Zimmer bleibt gewiß offen, um Wärme hereinzulassen.
    »Warum ziehst du seine Schuhe nicht aus? Berta!«
    Berta wird sie ihm ausziehen. Sissy würde es auch tun. Sie würde nicht zögern, sich dabei hinzuknien.
    »Du siehst müde aus.«
    »Das kommt von der Erkältung.«
    »Du solltest dich gründlich ausschlafen.«
    Er begreift, was sie meint. Es ist, als ob er automatisch aus einer fremden Sprache übersetzte. Lotte rät ihm, allein zu schlafen, sich heute nacht nicht mit einem Mädchen zu vergnügen. Aber es ist da etwas, das sie noch nicht weiß, das er selber nur ahnt: es verlangt ihn weder nach Minna, noch Berta, ja nicht einmal nach Sissy.
    Etwas später überwacht sie, wie sein Bett gemacht wird.
    »Wird es dir warm genug sein?«
    »Ja.«
    Er wird heute nacht nicht in diesem Bett schlafen. Er wäre in dieser Nacht imstande, in irgendein Bett zu schlüpfen, selbst in das einer alten Frau, nur um nicht allein zu sein.
    Es ist kaum zu glauben. Minna, die noch gar keine Erfahrung hatte, als sie kam, und deren Schenkel auf der Innenseite noch bogenförmig geschwungen sind wie bei kleinen Mädchen, hat binnen drei Tagen alles gelernt. Sie streckt den Arm aus, damit er seinen Kopf darauf lege, sagt kein Wort und streichelt ihn sanft wie eine Amme.
     
    Seine Mutter weiß Bescheid. Daran ist nicht mehr zu zweifeln. Darum ist die Zeitung auch heute früh schon verschwunden. Es ist da noch eine Einzelheit, die ihm auffällt, die sie aber bestimmt nicht zugeben würde. In dem Augenblick, da sie ihn küssen will, wie sie es jeden Morgen tut, ist sie unwillkürlich ein wenig zurückgewichen. Sie hat sich dann aber gleich selber darüber geärgert und ist plötzlich besonders liebevoll gewesen.
    Er wird den grünen Ausweis bekommen, davon ist er überzeugt. Für andere würde das einen außerordentlichen Erfolg bedeuten, ein Ziel, das zu erreichen man kaum zu träumen wagt, denn es versetzt einen in die gleiche Lage wie im anderen Lager einen Chef des Widerstandes.
    Er hätte auch Chef des Widerstandes sein können.
    Im Anfang, als man noch mit Panzern und Geschützen kämpfte, hat er versucht, der Widerstandsgruppe beizutreten, aber man hat ihn in die Schule zurückgeschickt.
    Lange ist er um einen Mieter aus dem fünften Stock herumgestrichen, einen Junggesellen in den Vierzigern mit einem dicken braunen Schnurrbart, der geheimnisvolle Allüren hatte und übrigens als erster erschossen worden ist.
    Ob der Geigenspieler schon erschossen oder verschleppt worden ist? Ob man ihn foltert? Wahrscheinlich wird man nie etwas davon erfahren, und seine Mutter wird von Tag zu Tag vor Gram immer elender werden, wie so viele andere. Eine Zeitlang wird sie weiterhin Schlange stehen und bei den Dienststellen anklopfen, aber man wird sie überall fortschicken, und dann wird man sie schließlich nicht mehr sehen und nicht mehr an sie denken, und eines Tages wird der Hauswart einen Schlosser rufen.
    Man wird sie in ihrem Zimmer finden, starr und kalt, und wird feststellen, daß der Tod schon vor acht bis zehn Tagen eingetreten ist.
    Frank hat kein Mitleid. Mit niemandem. Auch nicht mit sich selbst. Er fordert kein Mitleid und will auch nicht bemitleidet werden, und es reizt ihn an Lotte, daß sie ihn immer wieder ängstlich und rührselig zugleich anblickt.
    Interessieren würde ihn nur, sich einmal lange mit Holst unter vier Augen zu unterhalten. Danach hat es ihn schon verlangt, als ihm das noch gar nicht bewußt war.
    Warum gerade mit Holst? Er weiß es nicht. Er wird es vielleicht nie wissen. Er weigert sich zu denken, daß es daher kommen könnte, weil er selber nie seinen Vater gekannt hat. Sissy ist dumm. Heute morgen lag unter der Tür des Salons ein an Frank adressierter Brief, den Berta beim Aufräumen entdeckt hat. In dem Umschlag steckte ein Blatt Papier, auf dem mit Bleistift ein Fragezeichen gemalt war, und darunter stand: Sissy.
    Weil er sich am Tag vorher nicht bei ihr hatte blicken lassen! Sie weint. Sie bildet sich ein, sie könne nicht mehr weiterleben. Nur dieser Aufdringlichkeit wegen beschließt er, sie nicht aufzusuchen und notfalls allein ins Kino zu gehen, bevor er sich mit Kromer trifft.
    Aber sie ist viel beharrlicher, als er geglaubt hat. Er ist kaum im Treppenhaus –

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