Der Schnee war schmutzig
gebracht hat. Sie hat den Mantel noch an und den Hut noch auf, und der Alte lauscht bestimmt schon hinter seinem Guckfenster. Er wird gleich herüberkommen. Es bleibt ihnen nicht mehr viel Zeit.
»Möchtest du fort, Frank?«
Er schüttelt den Kopf.
»Und wenn ich dich bitten würde, mit mir zu schlafen?« fragt er dann. Er hat absichtlich einen Ausdruck gebraucht, der sie schockieren muß.
Sie sieht ihn immer noch fest an. Es ist, als wünschte sie aus tiefstem Herzen, er sähe ihr tief in ihre hellen Augen.
»Willst du es?« sagt sie.
»Heute nicht.«
»Wann du willst.«
»Warum liebst du mich?«
»Ich weiß es nicht.«
Es ist ein Zögern in ihrer Stimme, und ihr Blick verschwimmt. Was hätte sie fast geantwortet? Sie hatte schon andere Worte auf der Zunge.
Er möchte es erfahren, und dennoch wagt er nicht, weiter in sie zu dringen. Er täuscht sich vielleicht. Er möchte schwören – es ist töricht, denn dieser Gedanke läßt sich mit nichts begründen –, er möchte schwören, daß sie nahe daran war, ihm zu gestehen: »Weil du unglücklich bist.«
Es ist nicht wahr. Er erlaubt ihr nicht, erlaubt niemandem, so etwas von ihm zu denken. Warum kümmert sie sich überhaupt um ihn?
Der Nachbar kommt. Man hört ihn schon hinter der Tür atmen. Er zögert, anzuklopfen. Schließlich tut er es.
»Entschuldigen Sie, Fräulein Sissy, ich bin es wieder …«
Sie hat ein Lächeln nicht unterdrücken können. Frank ist fortgegangen, nachdem er guten Abend gemurmelt hatte. Er geht aber nicht nach Hause. Immer vier Stufen auf einmal nehmend, läuft er die Treppe hinunter und eilt zu Timo.
»Heute nacht?« fragt Kromer, dem das Wasser im Munde zusammenläuft.
Frank blickt ihn hart an und sagt dann barsch: »Nein.«
»Was hast du plötzlich?«
»Nichts.«
»Bist du anderen Sinnes geworden?«
»Nein.«
Frank bestellt etwas zu trinken, aber er hat keinen Durst.
»Wann?«
»Jedenfalls vor Sonntag abend, weil von Montag an ihr Vater wieder Frühdienst hat und dann gegen Abend wieder zu Hause ist.«
»Hast du mit ihr darüber gesprochen?«
»Sie braucht es nicht zu wissen.«
»Das begreife ich nicht.«
Kromer ist etwas beunruhigt.
»Du willst …?«
»Nein. Ich habe eine Idee. Ich erkläre es dir, wenn es soweit ist.«
Seine Augen sind ganz klein. Er hat Kopfschmerzen. Seine Haut ist feucht, und er zuckt immer wieder nervös, als hätte er sich die Grippe geholt.
»Hast du den grünen Ausweis?«
»Du mußt ihn dir morgen vormittag mit mir bei der Dienststelle abholen.«
Gut. Die Sache mit den Uhren wird also klappen.
Was treibt ihn, kurz vor Mitternacht auf der Straße herumzustreichen, um Holst nach Hause kommen zu sehen?
Er schläft aber nicht bei Lotte, sondern nimmt mit der Couch bei Kromer vorlieb.
Zweiter Teil
1
Minna ist krank. Sie liegt auf dem Feldbett, in dem sonst Frank schläft, und man trägt das Bett immer wieder in ein anderes Zimmer, weil in der Wohnung kein Platz für einen Kranken ist. Man kann sie in ihrem Zustand auch nicht zu ihren Eltern zurückkehren lassen, noch einen Arzt rufen.
»Das war wieder Otto«, hat Lotte zu ihrem Sohn gesagt.
Sein richtiger Name ist Schonberg, und er heißt auch nicht Otto. Fast alle Kunden hier haben einen Decknamen, vor allem jene, die sehr bekannt sind wie Schonberg. Er ist bereits Großvater, Tausende von Familien hängen von ihm ab, und man grüßt ihn auf der Straße ängstlich.
»Er verspricht mir jedesmal, aufzupassen, aber das nächstemal macht er es wieder.«
Minna wird also mit ihrer roten Wärmflasche von einem Zimmer ins andere geschoben, und einen guten Teil der Zeit verbringt sie in der Küche. Sie schämt sich sichtlich, als wäre es ihre Schuld.
Die Geschichte mit dem grünen Ausweis hat viele Gänge erfordert. Im letzten Augenblick waren eine Menge Papiere notwendig und fünf Paßbilder statt der drei, die Frank mitgebracht hatte.
»Wieso heißen Sie Friedmaier wie Ihre Mutter? Sie müßten doch den Namen Ihres Vaters tragen.«
Der rothaarige Beamte fand das verdächtig. Kromer mußte von dem Büro aus vor den Augen des Beamten den General anrufen.
Nach stundenlangem Warten hat Frank schließlich seinen Ausweis bekommen.
Er wirkt immer noch grippekrank, obwohl er kein Fieber hat. Lotte blickt ihn oft verstohlen an. Sie fragt sich, warum er plötzlich so nervös ist.
»Es wäre besser, du legtest dich einen oder zwei Tage ins Bett und ruhtest dich aus.«
Er hat sich auch bemüht, für den Sonnabend, der bei Lotte der
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