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Der Schnee war schmutzig

Der Schnee war schmutzig

Titel: Der Schnee war schmutzig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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dicht vor dem Wagen sind, sagt Stan: »Eine alte Jungfer!«
    Er bekommt keine Antwort. Im Auto reicht ihm Frank, ohne sich umzudrehen, sein Päckchen Zigaretten, zündet sich selber eine an und befiehlt. »In die Stadt.«
    Jetzt kommt ein unangenehmer Augenblick, aber Frank fühlt, daß er rasch vorüber sein wird. Erst im Auto hat es ihn gepackt. Bis dahin war er Herr seiner Nerven. Jetzt verliert er sie plötzlich. Aber die anderen merken es nicht. Es ist ein inneres Zittern, eine Art Krampf. Er muß sich zusammenreißen, damit seine Finger nicht zittern, und etwas wie eine Luftkugel möchte aus seiner Lunge. Er läßt die Glasscheibe herunter. Die eiskalte Luft, die seine Stirn berührt, tut ihm wohl. Er atmet sie gierig ein.
    Allein der Anblick der Lichter, als sie sich der Stadt nähern, wirkt beruhigend auf ihn. Er hat die Schnapsflasche, die Kromer ihm in die Tasche gesteckt hat, nicht angerührt.
    Nun ist es schon fast vorüber. Es war eine physische Schwäche. Bei dem Unteroffizier hat er fast das gleiche empfunden, nur nicht so stark.
    Er ist zufrieden. Er mußte das einmal durchmachen, und nun ist es geschafft. Die Sache mit dem Eunuchen zählte nicht. Es war sozusagen nur eine technische Angelegenheit.
    Das Merkwürdige ist, daß er jetzt das Gefühl hat, eine Tat vollbracht zu haben, deren Notwendigkeit er schon seit langem geahnt hatte.
    »Wo soll ich Sie absetzen?«
    Ahnt Adler, was passiert ist? Er hat den Schuß nicht unbedingt hören müssen.
    Er hat keine Frage gestellt. Er hat nur den Sack zurückgeschoben, der ihn beim Fahren störte, und der zwischen ihren Füßen liegt.
    »Bei Timo, aber nicht direkt davor.«
    Er überlegt und beschließt, nicht gleich zu Timo zu gehen. Es hat keinen Zweck, Kromer die Uhren auf einmal in die Hand zu drücken. Im Hinterhaus, wo die Mädchen wohnen, ist seine Beute sicher. Bevor sie in der Stadt sind, steckt er den Arm in den Sack und betastet die Schachteln. Einige davon erkennt er wieder. Er nimmt eine heraus und schiebt sie in seine Tasche.
    Jetzt ist ihm wieder wohl. Er freut sich, Kromer zu treffen und etwas zu trinken.
    Der Lieferwagen hält ganz kurz und fährt dann ohne ihn weiter. Er geht zum Hinterhaus und in das Zimmer eines der Mädchen hinein, das aber nicht da ist. Er wird sie jedoch bei Timo an der Theke finden.
    Er läßt den Sack unter dem Bett verschwinden, nachdem er den Revolver, den zu reinigen er nicht die Zeit gehabt, in den Sack gesteckt hat.
    Es ist fast ein feierlicher Augenblick. Der helle Raum, die vertrauten Gesichter, der Geruch von Wein und Alkohol. Timo, der hinter der Theke steht, winkt ihm zu.
    Er geht langsam. In seinem Wintermantel wirkt er klein und gedrungen. Seine Züge sind entspannt. In seinen Augen ist ein leises Funkeln. Kromer ist nicht allein. Er ist nie allein. Frank kennt die beiden Männer, die bei ihm sitzen. Er hat keine Lust, sich mit ihnen zu unterhalten. Er beugt sich zu Kromer hinunter.
    »Kommst du einen Augenblick?«
    Sie gehen nach hinten in den Waschraum, und stumm schiebt Frank Kromer die Schachtel in die Hand. Trotz der Dunkelheit im Wagen hat er sich nicht geirrt. Es ist die große blaue Schachtel, die eine Porzellanuhr mit einem Hirtenpaar enthält.
    »Nur eine?«
    »Ich habe etwa fünfzig davon. Aber du mußt vorher mit ihm reden. Man muß wissen, was man bekommt.«
    Hat das Spuren hinterlassen? Schon im Auto auf der Rückfahrt hat Adler es vermieden, ihn anzusehen, und nicht einmal haben sich ihre Schultern berührt.
    Auch Kromer wirkt jetzt anders. Er ist verlegen, wagt keine Fragen zu stellen und blickt Frank nur verstohlen hin und wieder an. Wenn sie sonst ein Geschäft miteinander machten, war er der Chef und ließ es ihn deutlich fühlen.
    Aber jetzt diskutiert er nicht. Er hat es eilig, in den Saal zurückzukommen und sagt fügsam: »Ich werde versuchen, ihn morgen zu sprechen.«
    Dann, als er sich eben hinsetzt: »Trinkst du etwas?«
    Plötzlich fällt Frank ein, daß er vergessen hat, ihm die Schnapsflasche zurückzugeben, die er nicht angerührt hat. Er reicht sie ihm und sieht ihm dabei in die Augen.
    Versteht Kromer?
    Dann geht er nach Hause und legt sich zu Minna ins Bett. Er ist so leidenschaftlich, daß sie erschrickt.
    Auch sie versteht. Sie verstehen alle.
5
    Die Füße im Backofen, ungewaschen und unrasiert, hat er den ganzen Tag in der Küche verbracht und in einem Buch von Zola gelesen. Hat seine Mutter Verdacht geschöpft? Sonst treibt sie ihn schon gegen Mittag an, sich endlich

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