Der Schnee war schmutzig
einer?«
»Der Fahrer? Ich glaube, er ist Ingenieur beim Rundfunk.«
»Was macht er?«
»Er arbeitet für die Besatzungsmacht, um Geheimsender ausfindig zu machen. Er ist zuverlässig.«
»Denkst du!«
Kromer kommt immer wieder auf seine fixe Idee zurück.
»Warum bringst du sie nie mit?«
»Wen?«
»Die Kleine.«
»Ich hab dir doch schon gesagt, sie wohnt bei ihrem Vater.«
»Was hat das dabei zu sagen?«
»Will mal sehen. Vielleicht läßt es sich einrichten.«
Die Menschen müssen glauben, er sei hart. Sogar seine Mutter hat Angst davor. Dabei kann er plötzlich träumen wie jetzt, da er geradezu zärtlich einen grünen Fleck an der Wand betrachtet. Es ist nichts Besonderes. Es ist nur der Hintergrund einer Wandbemalung bei Leonhard. Er stellt eine Wiese dar; man sieht jeden Grashalm, und die Margeriten haben alle ihre Blütenblätter.
»Woran denkst du?«
»An nichts.«
Diese Frage hat ihm schon seine Pflegemutter gestellt. Auch seine Mutter hat sie ihm immer wieder gestellt, wenn sie ihn sonntags besuchte.
»Woran denkst du, mein kleiner Frank?«
»An nichts.«
Er antwortete verstimmt, weil er es nicht mochte, daß man ihn kleiner Frank nannte.
»Sag mal, wenn ich den grünen Ausweis für dich bekomme …«
»Du wirst ihn schon bekommen.«
»Gut, nehmen wir’s einmal an. Man könnte dann interessante Dinger drehen.«
»Vielleicht.«
An diesem Abend ist ihm klar, daß seine Mutter Bescheid weiß. Er ist früh heimgekommen, denn er hat sich wirklich erkältet, und er fürchtet sich immer vor einer Krankheit. Sie hielten sich im ersten Zimmer auf, im sogenannten Salon. Die dicke Berta stopfte Strümpfe, Minna hatte eine Wärmflasche auf dem Bauch, und Lotte las die Zeitung.
Sie saßen alle stumm und reglos da, so stumm und reglos in dem schlafenden Haus, daß sie Wachsfiguren glichen und man überrascht war, daß sie den Mund auftaten.
»Ach, da bist du ja schon.«
In der Zeitung steht gewiß, was Fräulein Vilmos passiert ist. Man berichtet nicht so weitschweifig darüber wie früher, denn jetzt kommen solche Überfälle jeden Tag vor. Aber auch wenn es bloß drei Zeilen auf der letzten Seite wären, würde Lotte sie nie übersehen. Sie übersieht nie eine Meldung über Menschen, die sie gekannt hat.
Sie wird einen Teil der Wahrheit begriffen und den Rest erraten haben. Sogar der Lärm, den er in der letzten Nacht mit Minna gemacht hat, ist ihr sicherlich wieder eingefallen. Für sie, die die Männer so gut kennt, haben solche Einzelheiten eine ganz bestimmte Bedeutung.
»Hast du schon zu Abend gegessen?«
»Ja.«
»Willst du eine Tasse Kaffee?«
»Nein, danke.«
Sie fürchtet sich vor ihm und streicht ängstlich um ihn herum. Sonst hat sie diese Furcht nicht so deutlich gezeigt, aber im Grunde hat sie sich immer vor ihm gefürchtet.
»Du schnüffelst ja so.«
»Ich habe mich erkältet.«
»Trink doch einen Grog, und ich werde dir Schröpfgläser aufsetzen.«
Den Grog will er gern haben, aber nicht die Schröpfgläser. Er verabscheut diese Glasglocken, die seine Mutter den Mädchen bei dem geringsten Husten auf den Rücken setzt und die runde rosa oder braune Flecken auf der Haut hinterlassen.
»Berta!«
»Ich geh schon«, beeilt sich Minna zu sagen und verzieht vor Schmerzen das Gesicht, als sie aufsteht.
Es ist warm und ruhig. Franks Zigarettenrauch schwebt um die Lampe. Der Ofen bullert. Vier Öfen bullern in der Wohnung, während draußen wieder ein ganz feiner Schnee vom Himmel fällt.
»Willst du wirklich nichts essen? Wir haben Leberwurst da.«
Im Grunde bedeuten diese Worte nichts. Sie dienen nur dazu, ihn zum Sprechen zu bringen. Er merkt, daß Lotte seine Stimme hören möchte, als ob sie feststellen wollte, ob sie sich verändert habe.
Der alten Vilmos wegen!
In einem tiefen granatroten Plüschsessel sitzend und die Beine zum Ofen ausgestreckt, raucht er seine Zigarette. Das Seltsamste ist, daß er bei seiner Mutter etwas wie ein Schuldgefühl spürt. Wenn sie seinen Schritt rechtzeitig gehört hätte, hätte sie vermutlich die Zeitung verschwinden lassen. Ist er absichtlich auf Zehenspitzen die Treppe hinaufgestiegen?
In Wirklichkeit dachte er gar nicht an Lotte, sondern an Sissy, weil er fürchtete, Hoists Tür könnte sich öffnen.
Um diese Zeit ist sie mit ihren Schalen allein. Geht sie schon zu Bett, ehe ihr Vater heimkommt? Bleibt sie ganz allein bis Mitternacht auf?
Er hat Angst davor gehabt, er gesteht es sich ein, die Tür sich öffnen zu sehen
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