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Der Schnee war schmutzig

Der Schnee war schmutzig

Titel: Der Schnee war schmutzig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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jedoch nun einmal hat, soll er ihn sich auch zunutze machen.
    »Es ist das beste, du fährst auf ein paar Tage fort und zeigst dich nicht im Viertel. Du hast das schon öfters getan. Du hast Freunde. Du hast Geld. Und wenn du keins hast, werde ich dir etwas geben.«
    Warum sagt sie das, obwohl ihr Minna bestimmt von dem dicken Banknotenbündel in seiner Tasche erzählt hat? Sicherlich hat sie, während er schlief, selber in seiner Tasche nachgesehen. Auch das erschreckt sie. Es ist zu viel. So viel Geld kann man sich auf einmal nur mit gefährlichen Mitteln beschaffen.
    »Wenn es dir lieber ist, werde ich ein ruhiges Zimmer für dich suchen. Ich kann eins bei meiner Freundin haben, mit der ich gestern ausgegangen bin und die dich nur allzu gern aufnimmt. Ich werde dich dort besuchen und dich pflegen. Du brauchst Ruhe.«
    »Nein!«
    Er wird das Haus nicht verlassen. Im Grunde weiß er genau, was seine Mutter meint. Er ist zu weit gegangen. Sie hat Angst. Das ist die Wahrheit. So lange sie in aller Ruhe ihren kleinen Mädchenhandel betrieb, sogar mit Offizieren, verachteten die Leute sie, wagten aber nicht, etwas zu sagen. Man ging ihr aus dem Weg, sah weg, wenn sie die Treppe heraufkam, trat ein paar Schritte zurück, wenn sie zufällig in einer Schlange stand.
    Aber jetzt ist es ernster geworden. Die Mieter sind erregt, weil ein junges Mädchen krank ist, vielleicht sterben wird und weil es obendrein arm ist.
    Lotte hat Angst. Das ist es.
    Sie, die selbst zu einem Otto und zu Offizieren liebenswürdig ist, die Dutzende von Menschen haben erschießen oder foltern lassen, grollt ihm, weil er diesen grünen Ausweis hat, von dem sie nicht einmal zu träumen gewagt hatte.
    Hätte er ihn nur niemandem gezeigt!
    Das ganze Haus ist gegen Lotte und ihn. Ihr Opfer befindet sich vor der Tür, unmittelbar vor ihrer Tür. Außerdem ist die Erregung im Haus am Tag zuvor durch die Durchsuchung der Wohnung des Geigenspielers noch aufgepeitscht worden. Man behauptet schon, daß man die Mutter mit dem Gewehrkolben geschlagen habe, damit sie ruhig blieb.
    Selbst wenn man die beiden nicht unmittelbar mit dieser Sache in Verbindung bringt, sind die Gemüter doch überreizt. Noch lange wird sich das Haus daran erinnern, daß Frank, dieser Bengel, als einziger durch die Polizeisperre hindurchgelassen worden ist, weil er seinen grünen Ausweis vorzeigte, während Hausfrauen, deren Kinder allein in der kalten Wohnung waren, nicht durchgelassen wurden.
    Lotte hat auch vor Holst Angst.
    »Ich bitte dich, Frank, hör auf mich!«
    »Nein.«
    Was gehen ihn seine Mutter, was gehen ihn die Mädchen an? Er wird bleiben und nicht in der Dämmerung davonlaufen, wozu sie ihn verleiten will. Er wird keine Zuflucht bei einem Kromer oder bei einer Freundin seiner Mutter suchen.
    »Du tust immer nur das, was du dir in den Kopf gesetzt hast.«
    »Ja.«
    Und jetzt mehr denn je. Er wird fortan nur noch das tun, was er sich in den Kopf gesetzt hat, ohne auf irgend jemanden Rücksicht zu nehmen. Lotte wird es schon merken. Die anderen auch.
    »Zieh dich aber wenigstens an. Es kann jemand kommen.«
    Aber es ist kein Kunde, der ein wenig später, kurz vor zwölf, klingelt, sondern der Kommissar Kurt Hamling. Er benimmt sich kühl und höflich wie immer, als ob er nur eben einmal als Nachbar hereinsähe. Frank steht gerade unter der Dusche, als er hereinkommt. Aber wie immer am Vormittag sind alle Türen offen, und man hört alles, was in der Wohnung gesprochen wird, unter anderem den traditionellen Satz seiner Mutter: »Wollen Sie nicht Ihre Überschuhe ausziehen?«
    Heute wäre das wirklich angebracht. Es schneit unentwegt, und gleich wird sich eine Schmutzpfütze auf dem Teppich bilden, vor dem Sessel, in dem Hamling Platz genommen hat.
    »Danke. Ich bleibe nur ganz kurz.«
    »Einen Schnaps?«
    Er sagt nie ja, aber er nimmt ihn an.
    »Das Wetter ist milder geworden«, stellt er fest. »In ein oder zwei Tagen wird sich der Himmel aufklären.«
    Man kann nicht wissen, von welchem Himmel er spricht, aber Frank fürchtet sich nicht vor ihm. Er zieht seinen Bademantel an und geht absichtlich in den Salon.
    »Ach, ich hatte ja gar nicht gehofft, Ihren Frank hier anzutreffen.«
    »Warum nicht?« fragt Frank angriffslustig.
    »Man hatte mir gesagt, Sie seien auf dem Land.«
    »Ich?«
    »Die Leute reden viel, wissen Sie. Und wir müssen ihnen zuhören, weil das unser Beruf ist. Zum Glück hören wir nur mit einem Ohr hin, sonst würden wir am Ende alle

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