Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schnee war schmutzig

Der Schnee war schmutzig

Titel: Der Schnee war schmutzig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
waren, wirkte sie wie ein reinrassiges Pferd. Dabei war sie sehr klein, schlank und mollig zugleich, hatte braunes Haar und eine makellose goldfarbene Haut. Sie ließ an eine Bronzestatue denken. Sie war noch nicht achtzehn, aber schon verdorben.
    Als sie sah, daß die anderen abwuschen, setzte sie sich in den Salon und las in einer der Illustrierten, die sie mitgebracht hatte. Am Abend machte sie es genauso, und am nächsten Morgen erklärte sie Lotte: »Sie erwarten doch wohl nicht, daß ich obendrein noch das Dienstmädchen spiele.«
    Minna arbeitete wieder, obwohl es ihr noch schwerfiel, aber es war fast immer die Neue, die sich die Kunden aussuchte. Das war übrigens seltsam. Frank war neugierig auf den Tisch gestiegen. Sie wahrte eine überraschende Würde, während die Männer lächerlich oder widerlich wirkten. Frank erriet die Worte, die sie ohne Lächeln und mit einer großartigen Gleichgültigkeit sagte.
    »Soll ich mich nach der anderen Seite drehen? Höher? Tiefer? So? Und nun?«
    Während sich die Männer mit ihr vergnügten, blickte sie mit ihren schönen Tieraugen zur Decke. Ihr Blick begegnete so dem Franks, den sie undeutlich hinter der Scheibe sah. Er überlegte lange, ob sie ihn wirklich gesehen habe, denn sie zuckte nicht zusammen, zeigte keinerlei Überraschung. An etwas anderes denkend, wartete sie weiter darauf, daß der Mann sich erleichterte.
    »Hat dir die Chefin aufgetragen, zuzusehen?« fragte sie ihn ein wenig später.
    »Nein.«
    »Bist du lasterhaft?«
    »Auch nicht.«
    Sie zuckte die Schultern. Ihretwegen schliefen Minna und Berta in dem gleichen Bett, und Frank benutzte wieder sein Feldbett in der Küche. Am Dienstag abend hatte er sich zu Anny ins Bett gelegt, und sie hatte ihm gesagt:
    »Wenn du es durchaus willst, dann beeile dich. Ich werde wohl dem Sohn der Chefin keinen Korb geben dürfen. Aber denke nicht, daß du die Nacht in meinem Bett verbringen kannst. Es ist mir zuwider, mit jemandem zusammen zu schlafen.«
    Minna hatte versucht, sich mit ihr anzufreunden, aber sie las den lieben langen Tag. Berta dagegen, die jetzt eigentlich nur noch das Dienstmädchen war, vermied es, die Neue anzusprechen, bediente sie murrig, denn Anny ließ sich bedienen als verstände sich das von selbst. Sie ließ sich sogar beim Waschen und Trocknen des Haars helfen.
    Frank schlief noch, als der Streit begann. Wie jeden Morgen hatte man sein Bett – mit ihm darin – in das Hinterzimmer geschoben. Geraume Zeit später hörte er einen lauten Wortwechsel und erkannte Bertas Stimme, die er niemals wütend gehört hatte. Die Worte, die sie sagte, waren so ordinär, wie er sie noch nie von ihr gehört hatte.
    »Ich habe die Schnauze voll, und ich bleibe keinen Tag mehr. Bei den Schweinereien hier kann das auch unmöglich noch lange so weitergehen, und ich bin lieber fort, wenn es einmal knallt.«
    »Berta«, rief Lotte mit schriller Stimme. »Halt bitte den Mund, hörst du.«
    »Sie können noch lauter schreien, wenn Sie wollen. Ich möchte es Ihnen aber nicht raten. Es gibt genug Leute im Haus, die wissen, was hier vorgeht, und die kurzen Prozeß mit Ihnen machen würden, wenn sie es wagten.«
    »Berta, ich fordere Sie auf …«
    »Fordern Sie nur auf, fordern Sie nur auf. Erst gestern hat mir auf dem Markt ein Knirps ins Gesicht gespuckt, und das galt nicht mir, sondern Ihnen. Ich weiß nicht, was mich davon zurückhält, es Ihnen weiterzugeben.«
    Hätte sie es getan? Wahrscheinlich nicht. Sie gehörte zu denen, die ihren Groll lange in sich aufspeichern, aber jetzt, da der Damm gebrochen war, gab es kein Halten mehr. Sie hatte nicht gemerkt, daß Frank barfuß und im Schlafanzug hinter ihr in die Küche getreten war. Sie war darum ganz verblüfft, daß, als sie vom Spucken sprach und Lotte dabei ansah, sie plötzlich eine Ohrfeige bekam, eine Ohrfeige, die aus einer Ecke kam, wo sie niemanden vermutet hatte.
    Als sie Frank erkannte, biß sie die Zähne zusammen.
    »Sie sind es, Sie Schmutzfink. Versuchen Sie’s nur noch mal, dann werden Sie was erleben …«
    Lotte kam gar nicht dazu, dazwischenzutreten, denn schon klatschten zwei weitere Ohrfeigen, so laut wie im Zirkus. Plötzlich hatte sich Berta mit purpurrotem Gesicht auf ihn gestürzt und klammerte sich mit aller Kraft an ihn, während er sich bemühte, sie abzuschütteln.
    »Berta! Frank!«
    Minna hatte sich in den Salon geflüchtet, während Anny, die in einer langen Spitze aus Elfenbein eine Zigarette rauchte, am Türrahmen lehnte und

Weitere Kostenlose Bücher