Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schnee war schmutzig

Der Schnee war schmutzig

Titel: Der Schnee war schmutzig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
Treppenabsatz überschritten, so ungefähr wie man einen Fluß überschreitet. Er besucht jetzt Hoists. Wozu? Holst ist nicht mehr bei der Straßenbahn. Dafür gibt es einen ganz einfachen Grund. Sein Dienst zwang ihn, jede zweite Woche erst mitten in der Nacht nach Hause zu kommen, und während seiner Abwesenheit war Sissy allein. Er wird eine andere Beschäftigung gefunden haben, die ihn nur tagsüber in Anspruch nimmt.
    Er braucht Sissy nicht mehr allein zu lassen. Frank weiß genau, wie seine Mutter und Leute ihrer Art über so etwas reden. Wenn sie das Wort nervenkrank gebraucht und dabei verlegen ausgesehen hat, muß es ernst sein.
    Ist Sissy irre geworden?
    Er fürchtet sich nicht vor dem Wort. Er zwingt sich, es laut auszusprechen: »Irre.«
    So ist es. Die beiden Männer, ihr Vater und der alte Wimmer, lösen sich bei ihr ab, und ab und zu kommt der Kommissar, setzt sich auf einen Stuhl, ohne seinen Mantel auszuziehen, noch seine Gummischuhe, die auf dem Fußboden feuchte Spuren hinterlassen. Man wird Frank irgendwo hinbringen. Sonst hätte es keinen Sinn, ihm zu sagen, er solle sich fertig machen.
    Nun, er ist viel zu früh fertig und hat nichts mehr zu tun. Es lohnt sich nicht, während dieser Pause nachzudenken. Das würde ihn nur schwächen. Nach der Schokolade ißt er ein Stück Wurst. Seine Mutter hat nicht daran gedacht, daß er kein Messer hat, um sich ein Stück abzuschneiden. Und er hat auch kein Wasser mehr, um sich das Gesicht zu waschen. Er riecht nach geräuchertem Fleisch.
    Wenn sie doch bald kämen und ihn wegbrächten, und vor allem sollen sie ihn so schnell wie möglich zurückbringen, und dann in Ruhe lassen.
    Es ist derselbe Zivilist wie vorhin. Im Grunde sind es außer den Soldaten, die ständig wechseln, nicht sehr viele, und sie haben alle eine gewisse Familienähnlichkeit. Wenn Timo recht hat, muß es eine ziemlich hohe Abteilung sein, der sie angehören.
    Hat ihm Timo nicht erzählt, daß der Mann, vor dem der Oberst gezittert hatte, wie ein kleiner Beamter ausgesehen hat?
    So sehen sie alle hier aus. Man sieht nicht einen, der heiter oder auf sein Aussehen bedacht ist. Man kann sie sich nicht bei einem guten Essen oder bei einer Liebelei vorstellen. Sie sehen alle so aus, als wären sie nur dazu da, Zahlen aneinanderzureihen.
    Da – immer noch laut Timo – die wahre Macht bei ihnen dem äußeren Anschein genau widerspricht, müssen die hier verdammt mächtig sein.
    Wieder das kleine Büro. Der Chef ist nicht da. Vermutlich ist er Mittag essen gegangen. Auf dem Schreibtisch liegen Franks Krawatte und seine Schuhbänder. Mit schlechtem Akzent sagt man ihm, darauf deutend: »Nehmen Sie sie.«
    Er setzt sich auf einen Stuhl und fühlt nicht die geringste Angst mehr. Wenn diese Leute seine Sprache besser verstehen würden, würde er sich mit ihnen über irgend etwas unterhalten.
    Sie warten zu zweit und haben beide den Hut auf dem Kopf. Als sie hinausgehen, reicht ihm der eine eine Zigarette und dann ein Streichholz.
    »Danke.«
    Im Hof wartet ein Wagen. Keine grüne Minna und auch kein Militärfahrzeug, sondern ein schwarzes glänzendes Auto, wie es vor dem Krieg die reichen Leute besaßen, die sich einen Chauffeur leisten konnten. Geräuschlos fährt es durch das Tor und dann den Straßenbahnschienen nach in die Stadt. Obwohl die Scheiben geschlossen sind, riecht man doch ein wenig die Luft draußen. Man sieht Menschen auf den Bürgersteigen, Schaufenster, einen Jungen, der mit dem Fuß einen halben Ziegel vor sich her stößt und dabei auf einem Bein hüpft.
    Man hat ihn nicht seinen Koffer mitnehmen lassen. Er hat auch nichts unterschreiben müssen. Er wird also wiederkommen. Er ist davon überzeugt, daß er wiederkommt und wieder sehen wird, wie die Frau Babywäsche vor ihrem Fenster aufhängt. Wenn er sich rechtzeitig umgesehen hätte, hätte er vielleicht das Haus erkannt. Er muß auf dem Rückweg daran denken.
    Die Strecke ist mit dem Auto viel kürzer als mit der Straßenbahn. Man nähert sich schon dem Stadtzentrum. Der Wagen fährt um ein großes Gebäude herum, in dem sich die meisten militärischen Dienststellen befinden. Sicherlich hat dort auch der General sein Büro. Vor allen Eingängen stehen Posten, und Barrieren hindern die Einheimischen daran, auf dem Bürgersteig zu gehen.
    Das Auto hält nicht vor dem Hauptportal, sondern vor einer niedrigen Tür in einer Querstraße. Dort war früher ein Polizeirevier, das inzwischen aber verlegt worden ist. Man braucht ihm

Weitere Kostenlose Bücher