Der Schnee war schmutzig
achtet, auf einen Topf, der auf dem Herd steht, oder auf ein Baby. Sie hat bestimmt ein Baby, denn fast immer hängt sie Wäsche an eine quer vor das Fenster gespannte Leine, und es sind lauter kleine Stücke.
Wer weiß, vielleicht singt sie auch dabei. Sie ist gewiß glücklich. Frank hält sie für glücklich. Wenn sie ihr Fenster schließt, fühlt sie sich wieder in ihrer Wohnung geborgen mit allen Gerüchen des Haushalts, die von neuem zu ihrem Recht kommen.
Es verstimmt Frank an diesem Tag, dem neunzehnten, daß man ihn um Viertel nach neun holt, bevor die Frau an ihrem Fenster erschienen ist. Seit man ihn hierher gebracht hat, hat er auf diesen Augenblick gewartet, aber daß es nun eine Viertelstunde zu früh geschieht, verflucht er.
Ein Zivilist, der von einem Soldaten begleitet ist, bleibt auf dem Gang vor seiner Tür stehen. Er hat einen braunen Schnurrbart und erinnert an einen Pedell. Sofort denkt Frank, daß es einer von denen ist, die den Häftling geschlagen haben, als er am Tag seiner Einlieferung in dem ersten Raum wartete. Es ist ein Mann, der auf Befehl schlägt, ruhig, ohne Haß, aber ebenso eifrig, wie er in einem Büro Zahlen addieren würde.
Holt man Frank dazu? Weder der Zivilist noch der Soldat werfen einen Blick in sein Zimmer. Man sagt kein Wort zu ihm, sondern bedeutet ihm nur durch ein Zeichen, mitzukommen. Der Zivilist geht voran. Frank folgt ihm, ohne daran zu denken, in die anderen Klassenzimmer zu blicken, wie er es sich fest vorgenommen hatte. Es ist die Zeit, da die Gefangenen im Hof ihren Spaziergang machen. Er sieht sie vom Gang aus und als er die Außentreppe hinuntergeht.
Aber er vergißt, sie zu beobachten. Erst später wird er sich an etwas erinnern, das wie eine lange dunkle Schlange aussah. Sie gehen hintereinander in einer Reihe, mit etwa einem Meter Abstand voneinander, und das Ganze bildet ein welliges Oval.
Was wird das bedeuten, wenn man ihn schlägt? Daß man sich geirrt hat. Daß man ihn irgendwelcher Vergehen verdächtigt, die er nicht begangen hat – denn Fräulein Vilmos ist denen doch völlig gleichgültig. Merkwürdig, an den Unteroffizier denkt er überhaupt nicht mehr. Daß er ihn umgebracht hat, erscheint ihm so unwesentlich, daß er sich unschuldig fühlt.
Die beiden Männer führen ihn in das kleine Gebäude, wo er am ersten Tag eingeliefert worden ist, und er geht dieselben Stufen hinauf. Diesmal läßt man ihn nicht warten, sondern führt ihn sofort in das Büro des Chefs, der auf seinem Platz sitzt, und als Frank um sich blickt, sieht er seine Mutter. Seine erste Reaktion ist ein Stirnrunzeln, und ehe er sie genauer mustert und anspricht, wartet er die Weisungen des Beamten ab. Dieser zeigt sich wieder so gleichgültig wie damals, er ist mit Schreiben beschäftigt, und es ist Lotte, die als erste ein Wort sagt. Es dauert eine Weile, bis ihre Stimme den gewohnten Ton annimmt. Sie klingt so dumpf, wie wenn man in einer Grotte spricht.
»Frank, die Herren haben mir erlaubt, dich zu besuchen und dir einige Sachen zu bringen. Ich wußte nicht, wo du warst.«
Sie hat die letzten Worte sehr schnell gesagt. Man wird sie ermahnt haben, nicht zu viel zu sagen. Sie darf gewiß von manchen Dingen nicht sprechen.
Warum tut er so, als schmolle er? Im Grunde fühlt er sich nicht wohl in seiner Haut. Er ist mißtrauisch, denn sie kommt von draußen. Sie ist allzusehr sie selber. Geradezu erschreckend ist sie sie selber. Er riecht den Duft ihres Puders. Sie hat sich die Wangen rot angemalt wie jedesmal, wenn sie ausgeht. Sie hat einen kleinen weißen Hut auf, mit einem Schleier, der das halbe Gesicht verdeckt. Aus Eitelkeit verhüllt sie so ein wenig ihre Augen, damit man die feinen Falten nicht sieht und die ›Zwiebelschalen‹, wie sie ihre Augenlider nennt. Eine gute halbe Stunde hat sie in dem großen Zimmer vor dem Spiegel gestanden. Er sieht sie vor sich, wie sie ihre Glacéhandschuhe angezogen und das Haar zu beiden Seiten des Hutes ein wenig gebauscht hat.
»Ich kann nicht lange bleiben, Frank.«
Man hat die Zeit ihres Besuches begrenzt. Warum sagt sie es nicht offen?
»Du siehst recht gut aus. Wenn du wüßtest, wie glücklich ich bin, dich wohlauf zu sehen.«
Das bedeutet: dich am Leben zu sehen. Weil sie geglaubt hatte, er sei tot.
»Wann hat man dich benachrichtigt?«
Mit leiser Stimme und einem verstohlenen Blick zu dem Chef hin antwortet sie: »Gestern.«
»Wer?«
Sie antwortet nicht, sondern fährt mit gespielter Heiterkeit fort:
»Stell
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