Der Schnee war schmutzig
dir vor, man hat mir erlaubt, dir ein paar Kleinigkeiten zu bringen. Vor allem Wäsche. Du wirst endlich deine Wäsche wechseln können, mein armer Frank.«
Er empfindet dabei nicht die Freude, die er erwartet hatte. Vor knapp einem Monat hätte es ihn überglücklich gemacht.
Sein Aussehen entsetzt sie. Sie betrachtet seinen zerknitterten Anzug, seinen hochgeschlagenen Mantelkragen, sein schmutziges Hemd. Er trägt keine Krawatte, ist ungekämmt, hat sich seit neunzehn Tagen nicht rasiert, und seine Schuhe sind offen, weil die Schnürsenkel fehlen. Sie hat Mitleid mit ihm, fühlt er. Aber er braucht niemandes Mitleid, und schon gar nicht das Lottes, die ihn mit ihrer Schminke und ihrem weißen Hut anwidert.
Ob der Chef sie begehren würde? Ob sie es versucht hat, ihm Avancen zu machen? Bestimmt hat sie für alle Fälle frische Unterwäsche angezogen.
»Ich habe alles in einen Koffer gepackt. Die Herren werden es dir geben.«
Sie späht nach dem Koffer aus, der an der Wand steht und den er erkennt.
»Vor allem darfst du dich nicht gehenlassen.«
Inwiefern gehenlassen?
»Alle sind sehr nett gewesen. Es geht alles gut.«
»Was geht gut?«
Er ist hart, fast bissig. Er ärgert sich selber, daß er so ist, aber er kann nicht anders.
»Ich habe beschlossen, mein Geschäft zu schließen.«
Sie hält ihr zerknülltes Taschentuch in der Hand und ist den Tränen nahe.
»Hamling hat es mir geraten. Es ist falsch, daß du ihm mißtraut hast. Er hat alles getan, was er konnte.«
»Ist Minna noch immer bei dir?«
»Sie will mich nicht allein lassen. Sie läßt dich herzlich grüßen. Wenn ich eine andere Wohnung fände, würden wir umziehen, aber es ist fast unmöglich, eine zu finden.«
Diesmal sieht Frank sie unbarmherzig, fast grausam an.
»Wirst du das Haus verlassen?«
»Du weißt ja, wie die Leute sind. Seit du nicht mehr da bist, ist es schlimmer denn je.«
»Ist Sissy gestorben?« fragt er kühl.
»Nein. Wie kommst du denn darauf?«
Sie sieht auf ihre kleine goldene Armbanduhr. Für sie zählt die Zeit noch. Sie weiß, wie viele Minuten sie noch bleiben darf.
»Geht sie aus?«
»Sie geht nicht aus. Sie ist … weißt du, Frank, ich weiß nicht, was sie eigentlich hat. Ich glaube, sie ist deprimiert. Sie erholt sich nur schwer.«
»Was fehlt ihr?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe sie nie selber gesehen. Man sieht nur ihren Vater und Herrn Wimmer. Es heißt, sie sei nervenkrank.«
»Arbeitet Holst wieder bei der Straßenbahn?«
»Nein, er arbeitet zu Hause.«
»Was tut er?«
»Das weiß ich auch nicht. Er scheint mit Schreibereien beschäftigt zu sein. Das wenige, was ich weiß, habe ich von Hamling erfahren.«
»Geht er zu ihnen?«
Früher kannte der Kommissar die Hoists nur dem Namen nach.
»Er war mehrmals bei ihnen.«
»Warum?«
»Aber, Frank, was soll ich darauf antworten? Du stellst Fragen, als ob du das Haus nicht kennen würdest. Ich sehe niemanden. Anny ist fort. Sie soll von jemand …« Man scheint vor den Männern hier das Wort Besatzungstruppen nicht aussprechen zu dürfen. »Wenn Minna mich auch verlassen hätte, wüßte ich nicht, was aus mir geworden wäre.«
»Hast du einen von meinen Freunden gesehen?«
»Keinen.«
Sie ist verwirrt und enttäuscht. Sie ist gewiß in froher Erwartung gekommen, wie wenn man jemand im Krankenhaus besucht, ihm Trauben oder Orangen mitbringt. Aber er rechnet ihr nicht einmal ihre guten Absichten an. Man könnte denken, er grolle ihr und mache sie für seine Enttäuschung verantwortlich.
Er deutet auf ein Paket, das auf einem Stuhl neben ihr liegt, und fragt: »Was ist das?«
»Nichts weiter. Sachen, die in dem Koffer waren und die ich dir nicht dalassen darf.«
»Ich will nicht, daß du umziehst.«
Sie seufzt. Versteht er denn nicht, daß sie nicht so sprechen kann, wie sie möchte? Ja, er weiß es, aber es ist ihm gleichgültig. Die Mieter machen Lotte das Leben unmöglich, und er verbietet ihr auszuziehen. Wer hat darüber zu entscheiden, sie oder er?
»Hat Holst mit dir gesprochen?«
Warum macht sie ein verlegenes Gesicht, als sie ihm antwortet: »Nicht direkt.«
»Hat er dir durch Hamling etwas ausrichten lassen?«
»Nein, Frank. Warum machst du dir Gedanken darüber? Von der Seite ist nichts zu befürchten. Du brauchst dich nicht zu beunruhigen. Übrigens, die Zeit ist abgelaufen. Man darf es das erstemal nicht übertreiben, sonst kann ich dich nicht wieder besuchen. Ich würde dir gern einen Kuß geben, aber es ist besser, ich
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