Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schnee war schmutzig

Der Schnee war schmutzig

Titel: Der Schnee war schmutzig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
nicht erst zu bedeuten, daß er aussteigen soll. Er hat es auch so verstanden. Er bleibt einen Augenblick unbeweglich mitten auf dem Bürgersteig stehen. Er sieht Leute auf der anderen Straßenseite, erkennt aber niemanden, und niemand erkennt ihn, ja sieht auch nur zu ihm hin. Er verweilt nicht, denn das ist bestimmt nicht erlaubt. Er geht von selber in das Gebäude. Drinnen wartet er, bis man ihm in einem Gewirr von dunklen Korridoren vorangeht, wo an allen Türen geheimnisvolle Aufschriften stehen und man bisweilen einer Sekretärin begegnet, die Akten unter dem Arm trägt.
    Hier wird man ihn nicht foltern, sonst gäbe es hier nicht so viele weibliche Angestellte in hellen Blusen. Sie sehen ihn im Vorübergehen nicht an. Das Ganze hat nichts Unheimliches. Es sind einfach Büros, Unmengen von Büros, in denen sich Aktenstöße türmen und Offiziere und Unteroffiziere in Uniform arbeiten und dabei Zigarren rauchen. Die geheimnisvollen Zeichen, Buchstaben und Ziffern an den Türen weisen sicherlich auf die verschiedenen Dienststellen hin.
    Timo hat recht. Es ist eine andere Abteilung. Man merkt sofort den Unterschied. Ist es eine niedrigere oder eine höhere Abteilung? Er vermag es noch nicht zu sagen. Hier hört man zum Beispiel laute Stimmen, Flüstern und Lachen. Gutgenährte Männer ziehen den Bauch ein und schnallen ihr Koppel um, bevor sie hinausgehen. Unter ihren Blusen ahnt man die Brüste der Frauen und unter den Röcken die weichen Hüften. Sicherlich sind welche darunter, die sich im Büro mit den Männern vergnügen.
    Frank blickt um sich, wie er es überall tun würde, und es ist ihm etwas peinlich, daß er sich nicht hat rasieren lassen. Er benimmt sich fast wie früher. Er hat versucht, sich in der Scheibe einer Tür zu betrachten, und mit der Hand an seiner Krawatte gezogen.
    Jetzt sind sie am Ziel. Es ist der oberste Stock. Die Zimmer hier sind niedriger, die Fenster kleiner, die Flure staubig. Man führt Frank in das erste Büro, in dem niemand ist und in dem nur grüne Regale stehen und ein großer Tisch aus rohem Holz, der mit schmutzigen Löschblättern bedeckt ist.
    Täuscht er sich? Es ist ihm, als ob sich seine beiden Begleiter hier nicht zu Hause fühlten, als ob sie einen zugleich unnahbaren und demütigen Ausdruck angenommen hätten, in dem vielleicht ein Anflug von Ironie oder Verachtung ist. Sie sehen sich fragend an, bevor der eine an eine Seitentür klopft. Der Mann verschwindet, kommt aber sofort mit einem dicken Offizier, der seinen Uniformrock aufgeknöpft hat, zurück. Von der Tür aus mustert der Offizier Frank von Kopf bis Fuß, wobei er mit gewichtiger Miene an seiner Zigarre zieht.
    Er scheint befriedigt. Er machte zuerst ein leicht überraschtes Gesicht, wohl weil Frank noch so jung ist.
    »Komm herein.«
    Er ist gutmütig und mürrisch zugleich, legt ihm die Hand auf die Schulter und schiebt ihn in den Raum. Die beiden Zivilisten bleiben draußen, und der Offizier schließt die Tür. In einer Ecke, in der Nähe einer anderen Tür, arbeitet ein jüngerer Offizier mit niedrigerem Dienstgrad unter einer Lampe, denn dieser Teil des Büros ist schlecht beleuchtet.
    »Friedmaier, nicht wahr?«
    »Ja, so heiße ich.«
    Der Offizier wirft einen Blick auf ein mit Schreibmaschine beschriebenes Blatt, das schon bereitliegt.
    »Frank Friedmaier. Sehr gut. Setz dich.«
    Er deutet auf einen Rohrstuhl, der auf der anderen Seite seines Schreibtisches steht, und schiebt ihm eine Schachtel Zigaretten und ein Feuerzeug hin. Das scheint Brauch zu sein. Die Zigaretten sind für Besucher bestimmt, denn er selber raucht eine außerordentlich helle parfümierte Zigarre.
    Er lehnt sich in seinem Sessel zurück und streckt den Bauch vor. Er hat spärliches Haar, und man sieht seinem Gesicht an, daß er ein Vielfraß ist.
    »Nun, mein Freund, was gibt es Neues?«
    Er spricht fast ohne Akzent, kennt die feinsten Nuancen der Sprache, aber seine Jovialität wirkt gewollt.
    »Keine Ahnung«, sagt Frank.
    »Ha, ha, keine Ahnung!«
    Und für den anderen Offizier übersetzt er diese Antwort, die ihn zu amüsieren scheint.
    »Einmal muß man es doch wissen, nicht wahr? Man hat dir ja zum Nachdenken genügend Zeit gelassen.«
    »Um worüber nachzudenken?«
    Diesmal runzelt der Offizier die Stirn, erhebt sich, geht zu einem Schrank und nimmt eine Akte heraus, in der er etwas nachsieht. Vielleicht ist es nur Theater. Er setzt sich wieder hin und streift mit dem Nagel des kleinen Fingers die Asche von seiner

Weitere Kostenlose Bücher