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Der Schnee war schmutzig

Der Schnee war schmutzig

Titel: Der Schnee war schmutzig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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kann er das so fest behaupten? Und nun sagt er, wobei er jede Silbe betont: »Sie sind hier gestohlen worden.«
    Da Frank voll Entsetzen um sich blickt, verbessert er sich: »Sie sind hier, in diesem Haus gestohlen worden.«
    Frank hat Angst gehabt, ohnmächtig zu werden. Fortan wird er wissen, was Angstschweiß heißt. Auch andere Dinge versteht er plötzlich. Er glaubt alles zu verstehen.
    Die kleinen Löcher werden von der Besatzungsmacht in die Scheine gestanzt. In welche Scheine? Aus welchem Vorrat?
    Niemand weiß es. Niemand hat es je geahnt, und es ist erschreckend, in dieses Geheimnis eingeweiht zu sein.
    Gewiß, er wird nicht des Diebstahls beschuldigt, auch Kromer nicht. Sie wissen genau, daß sie nur kleine Schwarzhändler sind und daß Leute wie sie keinen Zugang zu gewissen Panzerschränken haben.
    Ob sie schon den General verdächtigen? Ob sie Kromer verhaftet haben? Ob sie ihn verhört haben? Ob er etwas ausgesagt hat? Frank hat achtzehn und einen halben Tag umsonst nachgedacht. Alles war falsch und sinnlos. Er hat sich mit Leuten beschäftigt, die bedeutungslos sind, Leuten seinesgleichen, als ob das Schicksal sich solcher Werkzeuge bediente.
    Das Schicksal hat sich eine Banknote ausgewählt, zweifellos eine von denen, die er vielleicht bei Timo oder bei dem Schneider, bei dem er den Kamelhaarmantel hat anfertigen lassen, ausgegeben hat. Vielleicht war es auch einer der Scheine, die er Kropetzki für die Augenoperation seiner Schwester gegeben hat.
    »Man wird das doch wohl wissen müssen«, sagt der Offizier und setzt sich wieder.
    Er schiebt Frank von neuem die Zigarettenschachtel zu.
    »So, Friedmaier, so liegt der Fall.«

Dritter Teil
1
    Der liegt auf dem Bauch und schläft. Er ist sich dessen bewußt, daß er schläft. Wie vieles andere hat er auch das in der letzten Zeit gelernt. Früher war er sich nur gegen Morgen, vor allem, wenn die Sonne aufgegangen war, seines Schlafes bewußt. Und da dieses Gefühl besonders stark war, wenn er am Tag zuvor getrunken hatte, kam es vor, daß er darum übermäßig trank und spät nach Hause ging, um diesen Schlaf auszukosten.
    Trotzdem verhält es sich mit dem Schlaf jetzt anders. Früher schlief er nicht auf dem Bauch. Lernen alle Häftlinge auf dem Bauch zu schlafen? Er weiß es nicht. Es ist ihm auch gleichgültig. Dennoch würde er sich gern ihres komplizierten Nachrichtensystems bedienen, wenn er die Geduld und Lust hätte, es zu lernen, nur um ihnen raten zu können: »Schlaft auf dem Bauch.«
    Es genügt aber nicht, sich einfach auf den Bauch zu legen. Man muß sich vielmehr wie ein Tier, wie ein Insekt, an die Bretter pressen, die als Matratze dienen. So hart die Bretter auch sind, es kommt ihm vor, als hinterließe sein Körper Spuren, wie wenn er auf einem Acker läge.
    Das Liegen tut weh. Eine Unzahl kleiner Knochen oder Muskeln tun ihm nicht auf einmal und nicht alle zugleich weh, sondern in einer Reihenfolge, die er zu kennen beginnt und die er schon wie eine Sinfonie zu orchestrieren vermag. Es gibt den dumpfen Schmerz und den schneidenden und so heftigen Schmerz, daß er Funken vor den Augen sieht. Manche Schmerzen dauern nur Sekunden, aber ihre Stärke läßt sie als Wollust empfinden, und er bedauert, wenn sie aufhören, während andere im Hintergrund bleiben und so vollkommen ineinander übergehen, daß er am Ende die empfindliche Stelle nicht bezeichnen könnte.
    Sein Gesicht ist in seiner zusammengerollten Jacke vergraben, die er als Kopfkissen benutzt. Als er eingeliefert wurde, war die Jacke noch fast neu. In den ersten Tagen war er dumm genug, sie zu schonen und sie nachts auszuziehen. Daher kommt es, daß sie nicht, wie sie es sollte, nach ihm, nach Erde, nach Leben, nach Schweiß riecht. Absichtlich steckt er die Nase an die Stelle unter den Armen, wo die Jacke am stärksten riecht. Er möchte stinken, wie die Leute draußen sagen, stinken wie die Erde stinkt, denn die Leute draußen finden, daß die Erde stinkt und daß der Mensch stinkt.
    Er spürt, wie sein Herz schlägt, spürt es überall, an den Schläfen, an den Handgelenken, in den Zehen. Er riecht den Geruch seines Atems und spürt die Wärme seines Atems. Und die Bilder vermengen sich miteinander, werden größer und wahrer als in der Wirklichkeit. Dinge, die er gesehen, gehört und erlebt hat, ebenso wie andere, die hätten geschehen können – das alles vermischt sich miteinander, während die Augen geschlossen sind und der Körper reglos daliegt, jedoch nie ohne auf

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