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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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schreitet forsch voran, bis sie, schwitzend wie Schauerleute, eine Haustür ohne Namensschild erreichen. Mr. Blüthner hat einen Schlüssel in der Hand, aber vorher muß er Pendel noch schalkhaft zublinzeln.
    »Sie haben doch nichts dagegen, eine Jungfrau zu opfern, Harry? Es stört Sie nicht, wenn wir ein paar Schwarze teeren und federn müssen?«
    »Nicht, wenn Benny dergleichen für mich vorgesehen hat, Mr. Blüthner.«
    Nachdem er verschwörerisch die Straße auf und ab geblickt hat, dreht Mr. Blüthner den Schlüssel um und stößt energisch die Tür auf. Es ist ein Jahr oder etwas länger her, doch geschieht es hier und jetzt. Pendel sieht es auf der gardenienroten Wand vor sich: die sich öffnende Tür, das lockende Pechdunkel dahinter.

15
    Aus grellem Tageslicht folgte Pendel seinem Gastgeber in finstere Nacht, verlor ihn und blieb stehen, wartete, bis seine Augen sich umgestellt hatten, und lächelte, falls er beobachtet wurde. Wem würde er hier begegnen, in was für einem sonderbaren Aufzug? Er schnupperte, aber statt Weihrauch oder warmem Blut roch er abgestandenen Tabakqualm und Bier. Erst allmählich machten sich die Werkzeuge der Folterkammer den Sinnen bemerkbar: Flaschen hinter einer Theke, ein Spiegel hinter den Flaschen, ein asiatischer Barkeeper von beträchtlichem Alter, ein cremefarbenes Klavier, auf dessen aufgeklapptem Deckel hüpfende Mädchen gepinselt waren, träge unter der Decke kreisende Holzventilatoren, ein hohes Fenster mit einer Schnur zum Öffnen, die allerdings weit oben abgerissen war. Und schließlich, weil sie am wenigsten leuchteten, jene, die wie Pendel nach dem Licht suchten; jedoch trugen sie keine mit Tierkreiszeichen bedruckten Gewänder und keine hohen kegelförmigen Hüte, sondern die triste Arbeitskleidung der panamaischen Geschäftswelt: weiße kurzärmelige Hemden, ausgebeulte Hosen unter Maurerbäuchen, gelockerte Krawatten mit rotem Blumenkohlmuster.
    Einige Gesichter kannte er aus dem bescheideneren Umfeld des Club Unión: Henk der Holländer, dessen Frau kürzlich mit seinen Ersparnissen und einem chinesischen Schlagzeuger nach Jamaica durchgebrannt war, trippelte, in jeder Hand einen beschlagenen Zinnkrug, feierlich auf ihn zu – »Harry, unser Bruder, wir sind stolz, daß Sie endlich den Weg zu uns gefunden haben« –, als ob Pendel, um ihn aufzusuchen, von weither über die Polder marschiert sei. Olaf, der schwedische Schiffsmakler und Säufer, mit dicker Brille und borstigem Toupet, schrie in seinem geliebten Oxford-Akzent, der keiner war: »Bruder Harry, alter Freund, bravo, Prost!« Hugo der Belgier, Schrotthändler von eigenen Gnaden und vormals im Kongo tätig, bot Pendel aus einem zitternden silbernen Flachmann ›etwas ganz Besonderes aus Ihrer alten Heimat‹ an.
    Keine gefesselten Jungfrauen, keine blubbernden Teerfässer, keine angstschlotternden Schwarzen: bloß all die anderen Gründe, weshalb Pendel bis jetzt nie hierhergekommen war, bloß dieselbe Besetzung in immer demselben Stück, einschließlich »Was wollen Sie trinken, Bruder Harry?« und »Darf ich Ihnen nachschenken, Bruder?« und »Warum kommen Sie erst so spät zu uns, Harry?«. Bis Mr. Blüthner, geschmückt mit Beefeaters-Cape und Bürgermeisterkette, auf einem verbeulten englischen Jagdhorn zwei heisere Töne blies und eine Doppeltür aufgetreten wurde, durch die im Eiltempo eine Kolonne asiatischer Dienstboten mit hochgehaltenen Tabletts in den Raum marschierte; sie riefen »Halt ihn nieder, alter Zulukrieger« und wurden von keinem Geringeren als Mr. Blüthner persönlich angeführt, der, wie Pendel allmählich aufging, gewisse verlorene Teile seines früheren Lebens, wie zum Beispiel Straftaten im Jugendalter, wiedergutmachen wollte.
    Denn nachdem er alle zu Tisch gerufen hatte, stellte sich Mr. Blüthner mitten an die Tafel; Pendel trat neben ihn und wartete frohgemut und aufmerksam wie alle anderen, während Henk der Holländer ein langes, unverständliches Tischgebet sprach, das in etwa darauf hinauslief, daß die Gesellschaft, wenn sie das aufgetragene Essen verspeisen würde, noch tugendhafter wäre als sie es ohnehin schon war – ein Gedanke, an dem Pendel einige Zweifel kamen, als er den ersten fatalen Happen des bewußtseinsveränderndsten Currys schmeckte, das er jemals verzehrt hatte, seit Benny ihn das letztemal in Mr. Khans Restaurant um die Ecke mitgenommen hatte – essen wir eine Kleinigkeit, während deine Tante Ruth bei den Töchtern Zions fromme Werke

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