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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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nachdem er sich hinreichend gegeißelt und freigesprochen hatte, war er mit sich in Frieden: Die schwarze Katze starrte ihn freilich immer noch an, und der Friede, den er empfand, war allerdings ein bewaffneter, eine schöpferische Wut, die kraftvoller und hellsichtiger war als alles, was er in seinem an Ungerechtigkeiten reichen Leben jemals empfunden hatte. Er spürte die Wut in seinen Händen, wie sie brannten und anschwollen. Im Rücken, vor allem in den Schultern. In Hüften und Fersen, wenn er durch Haus und Laden schritt. In solcher Hochstimmung konnte er die Fäuste ballen und an die Holzwände der Anklagebank hämmern, in der er gefühlsmäßig immer noch saß, und seine Unschuld herausbrüllen, oder etwas, das Unschuld so nahekam, daß es keinen Unterschied mehr machte:
    Und ich will Ihnen noch was sagen, Herr Richter, wenn wir schon mal dabei sind und falls Sie mal dieses oberdämliche Grinsen sein lassen könnten: Es gehören immer zwei dazu . Und Mr. Andrew Osnard von Ihrer Majestät Wasweißich gehört dazu. Das spüre ich. Ob er es spürt, ist eine ganz andere Frage, aber ich glaube schon, daß er es spürt. Es soll vorkommen, daß Leute etwas tun, ohne es zu wissen. Aber Andy treibt mich regelrecht an. Er macht mehr aus mir als ich bin, zählt alles zweimal und tut so, als sei es nur einmal da, und obendrein verhält er sich nicht koscher, denn damit kenne ich mich aus, und London ist sogar noch schlimmer als er.
     
    An dieser Stelle seiner Überlegungen angekommen, gab Pendel es auf, seinen Schöpfer, den Herrn Richter oder sich selbst anzureden, und fixierte wütend die Wand seiner Werkstatt, wo er gerade wieder einmal für Mickie Abraxas einen lebensverbessernden Anzug zuschnitt, der ihm die Frau zurückerobern sollte. Nach so vielen solcher Anzüge hätte Pendel diesen nun mit geschlossenen Augen zuschneiden können. Aber seine Augen standen ebenso weit offen wie sein Mund. Er schien nach Sauerstoff zu schnappen, dabei war seine Werkstatt dank der hohen Fenster gut durchlüftet. Er hatte Mozart gehört, doch Mozart paßte längst nicht mehr zu seiner Stimmung. Mit einer Hand, blindlings, schaltete er ihn aus. Mit der anderen legte er die Schere hin, aber noch immer blieb sein Blick starr auf denselben Fleck an der Wand geheftet, die anders als andere Wände, die er kennengelernt hatte, weder Mühlsteingrau noch Schleimgrün gestrichen war, sondern in einem besänftigenden Gardenienrot, das er und sein Anstreicher mit großer Sorgfalt gemischt hatten.
    Dann sprach er. Laut. Ein Wort.
    Nicht, wie Archimedes es gesprochen haben mochte. Nicht mit irgendeinem erkennbaren Gefühl. Eher im Ton jener sprechenden Personenwaagen, die die Bahnhöfe seiner Kindheit belebt hatten. Mechanisch, aber mit Überzeugungskraft.
    » Jonah «, sagte er.
    Endlich hatte Harry Pendel seine große Vision. Genau in dieser Minute schwebte sie ihm vor, unversehrt, prächtig, leuchtend, vollständig. Er hatte sie, wie er jetzt erkannte, von Anfang an gehabt, ähnlich wie ein Bündel Banknoten in der Gesäßtasche – wie lange hatte er gehungert und sich für pleite gehalten, hatte gekämpft, gestrebt und sich nach einem Wissen abgemüht, das nie ganz in seinem Besitz gewesen war. Und dennoch besaß er es! Es war dagewesen, hatte ihm die ganze Zeit als heimlicher Vorrat zur Verfügung gestanden! Und er hatte es bis zu diesem Augenblick nicht bemerkt! Und nun lag es in seiner ganzen Farbenpracht vor ihm. Meine große Vision, in Gestalt einer Mauer. Meine Verschwörung, jetzt hat sie ihren Anlaß. Die ursprüngliche, ungeschnittene Fassung. Jetzt wegen der riesigen Nachfrage auf Ihrem Bildschirm. Und strahlend erhellt von Zorn.
    Und der Name der Vision ist Jonah.
     
    Es ist ein Jahr her, doch Pendels Gedächtnis schafft mühelos die Grätsche von damals nach heute: Die Szene spielt sich unmittelbar auf der Wand vor ihm ab. Vor einer Woche ist Benny gestorben. Mark hat zwei Tage seines ersten Schuljahres an der Einstein-Schule hinter sich, Louisa hat am Tag zuvor wieder die einträgliche Arbeit für die Kanalkommission aufgenommen. Pendel fährt seinen ersten Geländewagen. Sein Ziel ist Colón, die Fahrt dient zweierlei Zwecken: Er will Mr. Blüthners Stofflager seinen monatlichen Besuch abstatten, und er will endlich Mitglied der Bruderschaft werden.
    Er fährt schnell, wie jeder, der nach Colón fährt – teils aus Angst vor Straßenräubern, teils in Vorfreude auf die Reichtümer, die ihn in der Freihandelszone am Ende

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