Der Schneider
der Straße erwarten. Er trägt einen schwarzen Anzug, den er, um Auseinandersetzungen zu Hause aus dem Weg zu gehen, im Laden angezogen hat; und er hat einen Sechstagebart. Wenn Benny das Ableben eines Freundes betrauerte, rasierte er sich nicht. Es ist das Geringste, was Pendel für Benny tun kann. Er hat sogar einen schwarzen Homburg dabei, den er jedoch auf dem Rücksitz liegen lassen will.
»Eine Allergie«, erklärt er Louisa, die um ihres Seelenfriedens willen nicht von Bennys Tod unterrichtet worden ist, nachdem ihr vor einigen Jahren der Eindruck vermittelt wurde, Benny sei im Dunkel des Alkoholismus gestorben und stelle demnach keine Bedrohung mehr dar. »Ich glaube, das kommt von diesem neuen schwedischen Aftershave, das ich für die Boutique getestet habe«, fügt er hinzu, um ihre Anteilnahme zu wecken.
»Harry, schreib diesen Schweden und sag ihnen, ihr Rasierwasser ist bedenklich. Nichts für empfindliche Haut. Lebensgefährlich für unsere Kinder, unvereinbar mit schwedischen Hygienevorstellungen. Und daß du sie verklagen wirst, bis sie schwarz werden, wenn die Allergie nicht bald wieder weggeht.«
»Ich habe den Brief bereits entworfen«, sagt Pendel.
Die Bruderschaft ist Bennys letzter Wunsch, zittrig notiert in einem Schreiben, das nach seinem Tod im Laden abgegeben wurde:
Harry , Du bist mir zweifellos eine Perle von sehr großem Wert gewesen , um so bedauerlicher ist die Sache mit Charlie Blüthners Bruderschaft . Du hast ein schönes Geschäft , zwei Kinder und wer weiß was sonst noch alles . Aber das Beste hast Du immer noch vor Dir , und daß Du es in all diesen Jahren verschmäht hast , kann ich einfach nicht begreifen . Wen Charlie in Panama nicht kennt , den braucht man auch nicht zu kennen ; überdies sind gute Taten und Einfluß schon immer Hand in Hand gegangen , und wer die Bruderschaft hinter sich hat , dem wird es nie an Aufträgen oder sonstiger Unterstützung mangeln . Charlie sagt , Du seist jederzeit willkommen , überdies steht er in meiner Schuld . Wenn auch nicht so sehr wie ich in Deiner , mein Sohn , jetzt , da die Reihe an mich gekommen ist , darauf gehe ich jede Wette ein , aber sag das nicht Deiner Tante Ruth . Hier läßt es sich gut aushalten , wenn man Rabbis mag .
Gott segne Dich
Benny
Mr. Blüthner herrscht in Colón über 2000 Quadratmeter Großraumbüros voller Computer und zufriedener Sekretärinnen in hochgeschlossenen Blusen und schwarzen Röcken und ist nach Arthur Braithwaite in Pendels Welt die Nummer zwei an Ehrbarkeit. Jeden Morgen um sieben besteigt er das Firmenflugzeug und läßt sich die zwanzig Minuten nach Colón fliegen, wo er auf dem France Field Airport zwischen den buntbemalten Fliegern kolumbianischer Import-Export-Manager landet, die hier zum zollfreien Einkaufen vorbeikommen, falls sie nicht zu beschäftigt sind und statt dessen ihre Frauen schicken. Jeden Abend um sechs fliegt er wieder nach Hause, freitags schon um drei, desgleichen an Jom Kippur, wenn die Firma ihren jährlichen Feiertag begeht und Mr. Blüthner sich der Buße für Sünden unterzieht, von denen niemand weiß außer ihm selbst und, bis vor einer Woche, Onkel Benny.
»Harry.«
»Mr. Blüthner, Sir, wie schön, Sie wiederzusehen.«
Es ist jedesmal dasselbe. Das rätselhafte Lächeln, der förmliche Händedruck, die undurchdringliche Ehrbarkeit, und kein Wort über Louisa. Nur daß an diesem Tag das Lächeln trauriger ist, der Händedruck länger dauert und Mr. Blüthner eine schwarze Krawatte aus seinem Warenlager trägt.
»Ihr Onkel Benjamin war ein großartiger Mensch«, sagt er und klopft Pendel mit seiner fleckigen kleinen Hand auf die Schulter.
»Er war der Größte, Mr. B.«
»Ihr Geschäft geht gut, Harry?«
»Erfreulicherweise, Mr. B.«
»Es macht Ihnen keine Sorgen, daß sich die Erde ständig erwärmt? Daß bald niemand mehr Ihre Jacketts kaufen wird?«
»Als Gott die Sonne erfand, Mr. Blüthner, war er klug genug, auch die Klimaanlage zu erfinden.«
»Und Sie möchten also ein paar Freunde von mir kennenlernen«, sagt Mr. Blüthner mit zwinkerndem Lächeln.
Der Mr. Blüthner in Colón ist um einiges geistreicher als der von der Pazifikküste.
»Ich weiß auch nicht, warum ich das immer hinausgezögert habe«, sagt Pendel.
An anderen Tagen wären sie jetzt über die Hintertreppe ins Stofflager gegangen, und Pendel hätte die neuen Alpakas bewundert. Heute jedoch stürzen sie sich ins Gewühl der Straßen; Mr. Blüthner
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