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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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Jährchen vor uns, bevor der Deckel zuklappt. Unsere ansonsten wunderbaren Aussichten haben nur einen Schönheitsfehler. Wir sind pleite.«
    Stormonts Blick verlagerte sich vom Ozean auf eine Reihe wattiger Wolken, die sich draußen über den Inseln gebildet hatten. Und sie kamen ihm wie Schnee vor, und Paddy, von ihrem Husten geheilt, schlenderte mit ihren Einkäufen aus dem Dorf gutgelaunt den Pfad zum Chalet hinauf.
    »Man verlangt, daß ich die Amerikaner aushorche«, sagte er mechanisch.
    »Wer verlangt das?« fragte Maltby hastig.
    »London«, sagte Stormont mit derselben tonlosen Stimme.
    »Zu welchem Zweck?«
    »Ich soll herausfinden, wieviel sie wissen. Über Stille Oppositionen. Studenten. Geheimtreffen mit den Japanern. Ich soll ihnen auf den Zahn fühlen, aber selbst nichts sagen. Versuchsballons steigen lassen, sie ein wenig provozieren. Das ganze alberne Zeug, das einem Leute empfehlen, die in London auf ihren fetten Ärschen hocken. Anscheinend ist Osnards Material weder dem Außenministerium noch der CIA bekannt. Ich soll herausfinden, ob sie unabhängig davon eigene Erkenntnisse besitzen.«
    »Das heißt: ob sie Bescheid wissen?«
    »Wenn Ihnen das lieber ist«, sagte Stormont.
    Maltby war empört. »Also wie ich diese Amerikaner hasse! Erwarten, daß alle anderen mit derselben Hektik zum Teufel gehen wie sie selbst. Um das richtig zu machen, braucht man Jahrhunderte. Wir machen’s doch vor.«
    »Angenommen, die Amerikaner wissen nichts von alledem. Angenommen, das Material ist tatsächlich sauber. Und sie wären es auch.«
    »Angenommen, es gibt nichts zu wissen. Das ist wesentlich wahrscheinlicher.«
    » Einiges davon könnte schon wahr sein«, sagte Stormont mit verstockter Tapferkeit.
    »Ja, so wie eine kaputte Uhr immerhin alle zwölf Stunden die Wahrheit sagt, könnte einiges davon auch wahr sein«, sagte Maltby verächtlich.
    »Und angenommen, die Amerikaner glauben das. Ob es wahr ist oder nicht«, fuhr Stormont verbissen fort. »Wenn sie also darauf reinfallen. Wie London.«
    » Welches London? Nicht unser London, das steht fest. Und natürlich glauben die Amerikaner das nicht. Nicht die richtigen. Deren Systeme sind unseren doch haushoch überlegen. Die haben schnell heraus, daß das Unsinn ist; dann sagen sie danke schön, wir haben’s zur Kenntnis genommen, und werfen es in den Reißwolf.«
    Stormont blieb hartnäckig. »Man vertraut doch den eigenen Systemen nicht. Informationsgewinnung ist so was ähnliches wie ein Examen. Man denkt immer, der Nebenmann weiß mehr als man selbst.«
    »Nigel«, sagte Maltby mit der ganzen Autorität seines Amtes, »darf ich Sie daran erinnern, daß wir uns kein Urteil erlauben sollen? Das Leben hat uns die seltene Möglichkeit gegeben, in unserer Arbeit Erfüllung zu finden und gleichzeitig Menschen, die wir schätzen, einen Dienst zu erweisen. Vor uns liegt eine goldene Zukunft. In einem solchen Fall zu zaudern, ist geradezu frevelhaft.«
    Immer noch vor sich hinstarrend, jedoch ohne den Trost der Wolken, sieht Stormont seine Zukunft, wie sie sich ihm bis jetzt dargeboten hat. Paddy wird von ihrem Husten dahingerafft. Mehr als das verfallende britische Gesundheitswesen können sie sich nicht leisten. Vorzeitiger Ruhestand in Sussex, abgespeist mit einem Hungerlohn. Das endgültige Aus für alle seine Träume. Und das einst so geliebte England zwei Meter unter der Erde.

20
    Sie lagen im Arbeitszimmer der Näherinnen auf dem Fußboden, auf einem Stapel Teppiche, die die Kunafrauen für ihre zahllosen Vettern und Kusinen, Tanten und Onkel aus San Blas bereithielten. Über ihnen hingen reihenweise Maßanzüge, an denen noch die Knopflöcher fehlten. Licht fiel nur durch das eine hohe Fenster, das rosa gefärbt war vom Widerschein der Stadt. Zu hören war nur der Verkehr auf der Vía España und Martas Wimmern. Sie waren angezogen. Ihr zerschlagenes Gesicht lag an seinen Hals geschmiegt. Sie zitterte. Pendel auch. Sie bildeten einen einzigen kalten, angsterfüllten Körper. Sie waren Kinder in einem leeren Haus.
    »Erst behaupten sie, du betrügst bei deiner Steuererklärung«, sagte sie. »Ich sage, du hast deine Steuern bezahlt. ›Ich führe die Bücher‹, habe ich gesagt. ›Ich muß es wissen.‹« Sie unterbrach sich, falls er etwas dazu sagen wollte, aber er hatte nichts zu sagen. »Dann behaupten sie, du betrügst bei der Betriebshaftpflichtversicherung für deine Angestellten. Ich habe gesagt: ›Für die Versicherung bin ich zuständig. Die

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