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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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sonst nie eine Pistole bei sich, auch wenn er dauernd davon geredet hatte, sich eine Kugel in den Kopf zu jagen, wahrscheinlich hat er sie gekauft, nachdem die Polizei bei ihm aufgekreuzt war, um ihn als großen Spion zu bezeichnen und daran zu erinnern, was ihm beim vorigen Mal im Gefängnis passiert war, und genau das würde ihm wieder passieren, hatten sie gesagt, auch wenn er jetzt nicht mehr so ein hübscher Knabe war, die alten Häftlinge waren da nicht so wählerisch, und sie hat bloß geschrien und gelacht und den Kopf eingezogen und die Augen zugemacht, und erst als sie sich umgedreht hatte, um zu sehen, wer die Rakete oder was auch immer geworfen hatte, hat sie die Schweinerei gesehen, einiges davon auf ihrem neuen Kleid, und Mickie selbst verkehrt herum auf dem Fußboden.
    Aus all dem schälte sich für Pendel schließlich die Frage heraus, auf welche Weise die explodierte Leiche seines Freundes und Mitgefangenen und des gewählten Führers von Panamas nun für immer Stiller Opposition denn wohl richtig herum liegen könnte.
     
    Er legte den Hörer auf, die Invasion war beendet, das Jammern der Opfer verstummte. Jetzt mußte nur noch aufgewischt werden. Die Adresse in Guararé hatte er mit einem H2-Bleistift aus seiner Tasche notiert. Harte, dünne Schriftzüge, aber lesbar. Seine nächste Sorge galt Marta; sie mußte Geld haben. Dann fiel ihm das Bündel von Osnards Fünfzigern in seiner rechten Gesäßtasche ein. Er gab es ihr, und sie nahm es, vermutlich ohne zu wissen, was sie da tat. »Das war Ana«, sagte er. »Mickie hat sich umgebracht.« Aber das wußte sie natürlich schon. Sie hatte ihr Gesicht an seins gedrückt, während sie beide zusammen zuhörten, sie hatte die Stimme ihrer Freundin sofort erkannt, und nur Pendels große Freundschaft mit Mickie hatte sie davon abgehalten, ihm den Hörer aus der Hand zu reißen.
    »Es ist nicht deine Schuld«, sagte sie hitzig. Sie wiederholte den Satz mehrmals, um ihn in seinen dicken Schädel zu treiben. »Das hätte er sowieso getan, ob du ihm den Kopf zurechtgesetzt hättest oder nicht, hörst du? Er hat dazu keinen Vorwand gebraucht. Er hat sich jeden Tag umgebracht. Hörst du mich.«
    »Ja doch. Ja doch.«
    Aber er sagte nicht: Doch, es ist meine Schuld, weil ihm das sinnlos erschien.
    Dann begann sie zu zittern wie eine Malariakranke, und hätte er sie nicht festgehalten, wäre sie wie Mickie zu Boden gesunken, verkehrt herum.
    »Ich möchte, daß du morgen nach Miami fliegst«, sagte er. Er erinnerte sich an ein Hotel, von dem Rafi Domingo ihm erzählt hatte. »Geh ins Grand Bay. Am Coconut Grove. Die haben ein fantastisches Lunchbüffet«, setzte er wie ein Idiot hinzu. Und auch die Ausweichmöglichkeit, wie Osnard es ihm beigebracht hatte: »Falls man dir kein Zimmer gibt, frag die Empfangsdame, ob du wenigstens deine Post dort hinschicken lassen kannst. Das sind nette Leute. Erwähne Rafis Namen.«
    »Es ist nicht deine Schuld«, wiederholte sie, jetzt unter Tränen. »Man hat ihn im Gefängnis zu oft verprügelt. Er war noch ein Kind. Erwachsene kann man schlagen. Kinder nicht. Er war dick. Er hatte empfindliche Haut.«
    »Ich weiß«, stimmte Pendel zu. »Das haben wir alle. Wir sollten einander so etwas nicht antun. Niemand sollte das.«
    Sein Blick war zu der Reihe fast fertiger Anzüge gewandert – der größte und auffälligste davon war Mickies Alpaka, Hahnentrittmuster, mit einem zweiten Paar Hosen, von denen er gesagt hatte, sie machten ihn vorzeitig alt.
    »Ich gehe mit dir«, sagte sie. »Ich kann dir helfen. Ich werde mich um Ana kümmern.«
    Er schüttelte den Kopf. Heftig. Er packte sie bei den Armen und schüttelte noch einmal den Kopf. Ich habe ihn verraten. Nicht du. Ich habe ihn zum Anführer gemacht, nachdem du mir davon abgeraten hast. Er versuchte, das irgendwie auszusprechen, aber seine Miene mußte es ihr bereits gesagt haben, denn sie wich vor ihm zurück, riß sich von ihm los, als ob ihr nicht gefiele, was sie da sah.
    »Marta, hörst du mir zu? Sieh mich nicht so an.«
    »Ja«, sagte sie.
    »Danke für die Studenten und alles«, beteuerte er. »Danke für alles. Danke. Es tut mir so leid.«
    »Du brauchst Benzin«, sagte sie und gab ihm hundert Dollar zurück.
    Und dann standen sie da, zwei Menschen, die Banknoten austauschten, während um sie herum ihre Welt unterging »Es war nicht nötig, mir zu danken«, sagte sie, und plötzlich klang ihre Stimme hart und wie in Erinnerung versunken. »Ich liebe dich. Sonst ist

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